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Maedchenjagd

Maedchenjagd

Titel: Maedchenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Taylor Rosenberg
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Parkplatz. Lily musste sich mit ihren hohen Absätzen beeilen, um mit ihm Schritt zu halten. Die Automatiktüren der Notaufnahme öffneten sich, grelles Licht blendete ihre Augen. Cunningham winkte mit seiner Dienstmarke und ging weiter zu dem Untersuchungszimmer, auf das die Krankenschwester wies. Auf dem Tisch lag ein junger Mann, vermutlich aus Indien oder Pakistan, unbedeckt und reglos. Sein Hemd war aufgerissen, doch auf seiner Brust sah man nichts als ein paar rote runde Flecken, die von den Elektroden des Defibrillators stammten, mit dem sie versucht hatten, ihn wiederzubeleben. Eine Hälfte seines Gesichts fehlte ganz, war nur mehr unkenntliches blutiges Gewebe, Hackfleisch.
    Außer ihnen war niemand im Zimmer. Lily griff nach der kalten Hand des Mannes, berührte sanft den schmalen Goldring an seinem Finger. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und mit einer unausgesprochenen Bitte blickte sie Cunningham an. Mit einem Nicken wies er auf die Tür. Sie folgte ihm auf den Korridor. Sie gingen einen Gang nach dem anderen hinunter, bogen mal rechts, mal links ab, bis er endlich stehen blieb und sich ihr zuwandte. Sie waren allein in einem Trakt des Krankenhauses, der sich offenbar im Bau befand.
    »Das eben war ein Werk von Bobby Hernandez. Verstehen Sie?«
    In seinen Augen lag eine düstere Eindringlichkeit, und Lily musste wegsehen. Jemand anders sprach mit ihrer Stimme, formte die Worte mit ihren Lippen. »Ja. Ich verstehe.«
    »Die Welt braucht ihn nicht. Sie braucht keinen Bobby Hernandez. Lily, Sie haben eine Kakerlake zertreten. Da draußen gibt es noch Tausende mehr. In jedem Schrank, unter jedem Abfluss, unter jeder stinkigen Toilette lauern sie.«
    Er verstummte, seine Schulter sackte herunter, und die Jahre kamen wieder zum Vorschein, Falten gruben sich in sein Gesicht, sein Bauch wölbte sich über den Gürtel. Sein Gesicht war gerötet, und auf seiner Stirn glänzte der Schweiß. Seine mächtige Brust hob und senkte sich.
    »Nichts von dem, was zwischen uns war, ist geschehen. Nichts von dem, was Sie mir am Telefon erzählt haben, wurde gesagt.« Er schob seine massige Hand in die Hosentasche und holte eine Zwanzig-Dollar-Note heraus. Er öffnete ihre starren Finger, drückte ihr den Geldschein in die Hand und schloss ihre Finger wieder. »Sie steigen jetzt in ein Taxi und kehren in Ihr Leben zurück. Sie werden vergessen, was in dieser Nacht geschehen ist. Wenn wir uns morgen oder übermorgen begegnen, sagen Sie nichts als: ›Hallo, Bruce. Wie geht es Ihnen.‹ Sie werden sich dem Kampf stellen und sich und Ihrer Tochter ein neues Leben aufbauen.«
    »Das können Sie nicht machen«, rief Lily mit schriller Stimme. Sie zitterte am ganzen Körper. »Ich kann Ihnen doch nicht einen Mord gestehen, und Sie drehen sich einfach um und gehen weg. Es gibt doch Gesetze.« Aufgeregt fuchtelte sie mit den Armen, und in ihren Augen zeichnete sich Hysterie ab. Abrupt wandte er sich um. Es war niemand in der Nähe. Sie waren allein.
    Cunningham trat zu ihr, packte ihre Hände und drückte sie an die Wand. Sein Gesicht war nur Millimeter von ihrem entfernt, sein Atem war heiß und schwer wie ein Schweißbrenner. »Ich bin das Gesetz. Hören Sie mich? Ich bin derjenige, der es leben muss, nicht die Richter auf ihrer Bank, die zu hoch oben sitzen, um es auch nur zu riechen. Ich bin es, der angeschossen wird, der das faule Aas unserer Gesellschaft einatmet. Ich komme, wenn die Leute mich rufen, weil sie beraubt, geschlagen, vergewaltigt werden. Ich habe das Recht, diese Entscheidung zu treffen. Ich habe das Recht.«
    Schweißperlen tropften von seiner Stirn auf Lilys nach oben gewandtes Gesicht wie salziger Regen. »Gerechtigkeit.« Er spuckte das Wort aus. »Wie kann der Gerechtigkeit gedient sein, wenn man Sie dafür verurteilt, dass Sie Rache nehmen wollten für Ihr Kind? Wenn man Sie wegsperrt und Ihre Tochter so schlimmen Schaden nimmt, dass sie sich niemals davon erholen kann?« Plötzlich ließ er Lily los und trat einen Schritt zurück. Seine Arme hingen an den Seiten herab. »Es gibt einen Gott, Lily, und er lebt hier unten in der Gosse mitten unter meinesgleichen.«
    Mit diesen Worten drehte der große Mann sich um und ging den Gang hinunter. Seine verschrammten, ausgetretenen schwarzen Schuhe klapperten über das Linoleum, der billige Stoff seines Anzugs spannte über seinem Rücken und den breiten Schultern. Lilys Blick folgte ihm, bis er um die Ecke verschwunden war.

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    Freitag, 15

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