Maedchenjagd
hatte keinen Nerv, sich mit ihr abzugeben. Am hinteren Ende der Garage war ein kleines Fenster, durch das ein wenig Tageslicht hereinfiel. Noch bevor er dazu kam, das Licht einzuschalten, erstarrte er plötzlich, weil er ein Geräusch aus der linken hinteren Ecke hörte. Ein Katze aus der Nachbarschaft musste sich hereingeschlichen haben, als er ein paar Wochen zuvor seinen Werkzeugkasten aus der Garage geholt hatte.
Er tastete nach dem Lichtschalter an der Wand, als er wieder etwas hörte, ein merkwürdiges Fiepen. Schnell zog er das Taschenmesser heraus und ließ die Klinge herausspringen. Vielleicht stammte das Geräusch von einem tollwütigen Waschbär oder einem anderen wilden Tier. Er sperrte die Garage nie ab, in der leisen Hoffnung, dass jemand einbrechen und ihm die Mühe ersparen würde, das Zeug wegzuwerfen. Von ein paar billigen Koffern abgesehen, war nichts von Wert darin.
Er wartete ab und lauschte mit angehaltenem Atem. Der Alkohol rauschte ihm durch die Blutbahnen, und er beschloss, lieber das Garagentor zu öffnen, als im Dunkeln noch länger nach dem Lichtschalter zu suchen.
In dem Moment, da er nach der Klinke greifen wollte, kam etwas wie ein wütender Stier mit ungeheurer Geschwindigkeit auf ihn zugeschossen. Kisten und Möbel fielen um. Im nächsten Augenblick wurde er mit dem Gesicht gegen die Wand gedrückt. Mit immenser Kraft hielt ihn der Angreifer fest.
»Schnaps, hä?«, fauchte der Mann, riss John die Flasche aus der Hand und schmetterte sie gegen die Wand.
Weißglühender Schmerz schoss ihm in den Rücken, während er verzweifelt versuchte, sich dem Angreifer zu entwinden. Blind fuchtelte John mit seinem Taschenmesser durch die Luft, bis ihn der Mann mit eisernem Griff am Arm packte. Ihm entfuhr ein kehliger, unmenschlicher Laut.
Gequält schrie John auf, als sein Handgelenk so weit nach hinten gebogen wurde, dass seine Knochen ein unerträgliches Knacksen von sich gaben.
»Dachtest du wirklich, dass du mich mit diesem Pipimesser erwischst?«, zischte ihm der Angreifer ins Ohr, klappte Johns Messer zusammen und schob es in seine Tasche. »Du bist ’ne Witzfigur, Mann. Mit dem Ding kannst du höchstens deine Fingernägel sauber machen.«
John spürte, wie ihm eine warme Flüssigkeit den Rücken hinunterrann, und wusste, dass es Blut war. Unter Mühen presste er jedes einzelne Wort heraus. »Geld … ich … habe … Geld.«
Mit seinem Jagdmesser fuchtelte der Mann vor Johns Gesicht herum, und von der blitzenden Schneide wurde ein Lichtschimmer zurückgeworfen. »So sieht ein Messer aus, du Arschloch«, sagte er mit leichtem Latinoakzent. Er zog das zusammengerollte Bargeld aus Johns Jackentasche und stopfte es sich unter den Bund seiner Jogginghose.
Der Mann hatte über den Schnaps gesprochen. John dachte an Antonio Vasquez, den Mann, den er überfahren hatte. Wollte sich einer seiner Verwandten an ihm rächen? Seine Augen schlossen sich, und sein Körper wurde schwer im Griff des Mannes. Die Stimme und die Worte holten ihn wieder zurück.
»Du bist ihr Daddy, oder? Ist sie zu Hause? Sie will ich, du alter Sack. Ich will deine hübsche kleine Tochter. Du bist mir egal. Du bist nur zur falschen Zeit am falschen Ort.«
Mit jedem Stoß des Messers entfuhr John ein unwillkürliches Grunzen. Er spürte den Schmerz nicht mehr, er spürte nur den Druck der Klinge in seinem Fleisch. Er war in der Unfallnacht mit Shanas Auto unterwegs gewesen. Die Familie von Vasquez musste glauben, dass Shana ihren Sohn getötet hatte. Plötzlich war er in einem Raum voller Sonnenlicht. Shana war ein kleines Mädchen, und in ihren Augen lag so viel Liebe und Unschuld, als sie zu ihm aufblickte. »Geh mit mir in den Park«, sagte das Traumbild und zog ihn am Ärmel.
Shanas Bild zog sich aus dem Licht zurück, und an seiner Stelle tauchte das Gesicht des bildhübschen Jungen auf, den er sterbend liegen gelassen hatte. Er fühlte, wie er in denselben unergründlichen Strudel der Dunkelheit gerissen wurde, den er am Abend seiner Fahrerflucht für einen kurzen Moment erblickt hatte. Lautlos formten seine Lippen die gleichen Worte, die Lily in jener Nacht gesagt hatte, als Curazon sie über den Korridor zu Shanas Kinderzimmer geschleift hatte. »Bitte, lieber Gott, nicht meine Tochter.«
Samstagabend um sieben Uhr fünfzehn hielt ein Auto in der Einfahrt des Doppelhauses am Maplewood Drive. Als Shana mit ihrer Freundin Jennifer Abernathy das Haus betrat, war sie entsetzt über den Schmutz und
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