Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
einige erklärende Worte, aber es kommt nichts. Mit fast geschlossenen Augen nippt Judith noch einmal an ihrem Wein und sagt erst nach einer längeren Pause: »Ich freue mich so, dass wir uns kennengelernt haben. Ich habe sonst nicht so viele Freundinnen, weißt du.«
»Das glaube ich dir nicht. Du bist doch unheimlich offen und kontaktfreudig, jedenfalls habe ich dich immer so erlebt.«
»Ja schon, aber die meisten Kommilitoninnen sind mir irgendwie zu kindlich. Die wirken doch alle, als seien sie gerade erst der Schule entlaufen.«
»Das sind sie ja auch. Ich bin mit meinen 27 Jahren und der fertigen Kripo-Ausbildung schließlich eine echte Exotin unter den Kunstgeschichtsstudentinnen.«
»Das hat mir gerade gut an dir gefallen. Du hast einen ernsthaften Blick aufs Leben, nicht diese Sandkasten-Mentalität.«
Silja zuckt die Achseln. »Ich hab dir ja erzählt, dass ich im letzten Sommer bei einer Festnahme fast selbst hätte dran glauben müssen. So etwas steckt man nicht einfach weg.«
»Was ist da eigentlich genau passiert?«
»Man hat mir in die Schulter geschossen. Aus nächster Nähe. Und dann lag ich da. Ich hatte wahnsinniges Glück im Unglück. Wie durch ein Wunder hat der Schuss die Arterie neben dem Schlüsselbein nicht zerfetzt. Wäre das passiert, wäre ich nach 15 Minuten tot gewesen.«
»Das haben die Ärzte gesagt?«
Silja nickt, dann nimmt sie einen großen Schluck von ihrem Wein. »Und weißt du, wer tatsächlich so gestorben ist? Hat mir auch ein Arzt erzählt.«
»Nee, wer denn?«
»Ötzi.«
»Die Mumie aus den Alpen?«
»Genau die. Den hat ein Speer erwischt, der direkt in diese Arterie eingedrungen ist. Das Blut ist in den Körper gelaufen, und das war’s dann. Exitus.«
»Und wie konnte man das heute noch feststellen?«
»Die schieben die Mumien jetzt in die Röhre und untersuchen sie scheibchenweise. Kostet sicher ein Heidengeld und ist ziemlich überflüssig, wenn du mich fragst.«
»Immerhin weißt du jetzt, in welch prominenter Gesellschaft du dich befindest«, lacht Judith.
»Fast. Ich lebe ja noch. Vergiss das nicht. Auch wenn das Ganze ein furchtbarer Schock war.«
»Aber genau das meine ich. Du wirkst sehr reif und erwachsen, das kann man von den anderen Studentinnen echt nicht sagen. Und von den paar Typen, die sich mit uns in dem Höhere-Töchter-Fach tummeln, auch nicht.«
»Obwohl die Kommilitonen dich in den Seminaren ziemlich anhimmeln, das wird dir ja wohl nicht entgangen sein.«
»Ich spiele nicht mit kleinen Jungs.« Judith stößt ein kurzes hartes Lachen aus und sieht Silja gleich darauf neugierig in die Augen. »Und du auch nicht, scheint mir.«
Silja seufzt. »Ich spiele seit dem letzten Sommer überhaupt nicht mehr, wenn du’s genau wissen willst. Davor war ich zwei Jahre lang mit einem Kollegen zusammen, aber dann hat’s ziemlich gekracht. Das habe ich dir doch schon mal erzählt, oder?«
»In groben Zügen. Aber was ist genau passiert?«
»Irgendwie sind wir im Lauf der Ermittlungen aneinander geraten. Es war ein komplizierter Fall, wir kamen einfach nicht weiter, und ich hatte den Eindruck, dass meine beiden Kollegen sich zu sehr auf einen männlichen Täter kaprizieren.«
Judith nickt. »Die Kerle glauben einfach immer, nur sie selbst seien gerissen?«
»So ungefähr. Jedenfalls wurde aus einem rein dienstlichen Disput in null Komma nichts ein handfester Streit. Und als Bastian und ich damit fertig waren, fühlte ich mich so provoziert, dass ich ihn rausgeworfen habe.«
»Tut’s dir leid?«
»Manchmal schon. Ich weiß jetzt, dass er ein elender Macho ist, aber andererseits hat mich vorher noch nie jemand so tief berührt.«
»Klingt kompliziert.«
Silja zuckt die Schultern. »Ich muss wohl einfach darüber hinwegkommen. Ihm ist das längst gelungen. Er behandelt mich, als sei ich Luft, meist sogar, als sei ich ein besonders eisiger Lufthauch, gegen den man sich am besten durch Türenschließen und eiliges Abwenden schützen kann.«
»Na ich weiß nicht. Besonders souverän klingt das aber nicht.« Judith macht eine kleine Pause, dann lächelt sie Silja aufmunternd zu. »Jetzt frag schon.«
»Was?« Silja fühlt, wie sie rot wird, als habe die Freundin sie bei einem unerlaubten Gedanken ertappt. »Was soll ich fragen?«
»Wie es mit mir und den Männern ist. Jedenfalls wäre diese Frage die logische Konsequenz aus unserem Gespräch.«
»Das du nur deshalb begonnen hast, damit ich das endlich frage, nehme ich an«, grinst Silja
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