Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
mich gestorben. Das müssen Sie doch verstehen.«
»Aber Sie sind auch froh darüber, dass Sie den Bruder wieder ganz für sich haben, oder?«
»Das wird sich noch herausstellen. Vielleicht sucht er sich ja ein neues Betthäschen. Weiß man’s? Er pflegt mich bei so etwas nicht um Rat zu fragen.«
Jetzt greift Christa Mönchinger doch nach ihrem Tee. Klappernd tanzt der Löffel auf dem Porzellan, als sie die Untertasse anhebt.
»Wissen Sie zufällig, wo Ihr Bruder jetzt ist?«
Christa Mönchinger zuckt die Schultern. »Da hätten Sie ihn schon selbst fragen müssen. Er ist vorhin gerade raus, Sie haben ihn knapp verpasst.«
»Er hat Ihnen nicht gesagt, wo er hinwollte?«
»Ich bitte Sie, er ist ein erwachsener Mann. Außerdem ist er sauer auf mich. Er meint, ich hätte Marga aufhalten sollen.«
»Haben Sie das erwogen?«
Christa Mönchinger reibt sich fahrig die Hände. Ihr Gesicht spiegelt Unschlüssigkeit, aber auch Wut. Über ihr eigenes Vorgehen? Oder eher über die Fragen des Kommissars?
»Es ging alles so schnell. Ich hörte mehrere Türen ins Schloss fallen, und dann sah ich sie auch schon durch den Vorgarten gehen. Hätte ich da hinterherlaufen sollen? Im Nachthemd? Durch Rufe die Nachbarn wecken? Das hätte wahrscheinlich niemand getan. Und nachdem sie weg war, konnte ich auch nicht lang darüber nachdenken, denn dann kam ja schon bald dieser komische Kerl und klingelte mich heraus.«
»Der nächtliche Besucher, ich erinnere mich. Wie viel Zeit lag zwischen beiden Vorfällen?«
»Zwanzig Minuten vielleicht. Ich glaube es war gegen Mitternacht. Als es klingelte, habe ich kurz auf die Uhr gesehen.«
»Eine ungewöhnliche Zeit für einen Besuch. Und Sie haben gar nicht gezögert, aufzumachen?«
»Ich dachte, es ist Marga. Wenn man für immer gehen will, nimmt man ja keinen Schlüssel mit …«
»Da bringen Sie mich auf eine Idee: Hat sie denn ihren Schlüssel mitgenommen?«
»Verrückterweise ja. Das haben wir aber erst am nächsten Morgen festgestellt. Deshalb hofft mein Bruder ja auch, dass sie zurückkommen wird.«
»Das ist wirklich ein interessantes Detail. Aber lassen Sie uns bitte noch kurz über diesen Mann an der Tür reden. Könnte es sein, dass er mit Ihrer Schwägerin verabredet war? Dass er vielleicht sogar in deren Auftrag zurückgekommen ist?«
»Um was zu tun?«
»Ich weiß es nicht. Hat er sie denn erwähnt?«
»Mit keinem Wort.«
»Da sind Sie sich sicher?«
»Vollkommen. Das wäre mir doch aufgefallen, so kurz nach Margas Abgang.«
»Eine letzte Frage noch, Frau Mönchinger: Warum, glauben Sie, hat Ihre Schwägerin Ihren Bruder verlassen?«
Christa Mönchinger spitzt die Lippen, zieht ein abfälliges Gesicht und verdreht die Augen. Der Kommissar kann sehr deutlich sehen, wie sie über Marga Mönchinger denkt. Und das soll er auch sehen. Aber äußern will sie sich dazu nicht.
»Ich war in ihre Intimsphäre nicht eingeweiht. Da müssen Sie wirklich meinen Bruder selbst fragen. Und ich könnte mir sogar vorstellen, dass er Ihnen eine Antwort gibt, wenn er sich erst mal ein bisschen beruhigt hat.«
»Würden Sie ihm eigentlich empfehlen, eine Suchmeldung zu starten?«
»Definitiv nicht. Es sei denn, er will sich bei allen unseren Bekannten komplett lächerlich machen.«
Montag, 20. Juni, 09.05 Uhr,
Psychotherapeutische Praxis
Manfred Pabst, List
Unruhig rutscht Hubert Mönchinger auf der schwarzen Bauhausliege herum. Seine Hände zerren an den Knöpfen, mit denen die gesteppten Quadrate fixiert sind, sein Kopf drückt eine tiefe Delle in die Nackenrolle, als könne Mönchinger noch nicht einmal dort locker lassen. Der Analytiker betrachtet seinen Patienten verwundert. Dass Mönchinger angespannt ist, kennt er schon, das ist ein Teil seiner Persönlichkeitsstörung, aber was Manfred Pabst hier und heute beobachten kann, ist mehr. Es wirkt wie ein starker neurotischer Schub.
»Herr Mönchinger, beruhigen Sie sich. Wir haben eine volle Stunde Zeit und morgen noch einen weiteren Termin. Sie müssen sich nicht hetzen. Erzählen Sie einfach der Reihe nach, was seit dem letzten Dienstag geschehen ist.«
»Marga ist weg«, japst Mönchinger.
Der Analytiker holt tief Luft, jetzt darf er keinen Fehler machen.
»Was bedeutet weg ?«
»Am Donnerstag bin ich nach Flensburg aufgebrochen und wollte sie wie immer vom Autozug aus anrufen. Sie ging nicht ans Handy. Und sie war auch nicht zu Hause. Meine Schwester sagt, sie sei …«
»Ihre Schwester«, unterbricht ihn der
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