Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
mit einem fragenden Blick auf Bastian. »Irgendwo wird sie ja wohl gearbeitet haben …«
Der Kollege verzieht keine Miene und nickt nur unkonzentriert. Als beide wieder im Flur stehen, fragt er leise: »Glaubst du, sie hat ein oder zwei Schlafzimmer?«
»Genau das Gleiche habe ich auch eben überlegt«, antwortet Silja und öffnet die Tür direkt neben dem Wohnungseingang.
Violette Wände, ein opulentes Polsterbett mit verspiegeltem Betthaupt und ein lippenförmiges Sofa in kräftigem Pink zeigen deutlich, dass es sich hier um den Arbeitsbereich der Toten handelt. Aber wenn die Kommissare gehofft hatten, auf Spuren einer Gewalttat zu stoßen, dann werden sie enttäuscht. Das Bett ist gemacht, die fliederfarbene Tagesdecke ordentlich zurechtgezogen. Selbst die Sammlung von Dildos, die aufgereiht auf der goldfarbenen Lackkommode steht, wirkt staubfrei und fast schon museal.
»Jetzt das letzte Zimmer. Irgendetwas Persönliches muss in dieser verdammten Wohnung doch zu finden sein.«
Bastian gelingt es nicht ganz, die Enttäuschung aus seiner Stimme zu verbannen. Und als er die Tür des letzten Raums öffnet, erfüllt sich seine Hoffnung.
Hier herrscht das blanke Chaos.
Ein klobiges Holzbett steht vor einem zweiten Fernseher. Das Bett wird auf beiden Seiten von niedrigen Tischen voller Medikamente, Cremedöschen und halb geleerten Chipstüten flankiert. Eine kleine Flasche Kirschwasser, eine aktuelle Hörzu und ein rotes Notizbuch vervollständigen die Ansammlung. Auf einem Sideboard steht ein Styroporkopf mit der dunklen Fransenperücke, von der die Nachbarin gesprochen hat.
»Na endlich«, murmelt Bastian und greift nach dem Buch. Es hat einen Kalender und einen Adressteil und wirkt im Zeitalter der Smartphones fast schon antiquiert. Nach kurzem Blättern feuert Bastian das Büchlein allerdings wütend zu Boden, was ihm einen strafenden Blick des Chefs der Spurensicherung einträgt. Leo Blum ist groß und hager, sein Gesicht wird von einer imposanten Hakennase dominiert, und die langen Haare trägt er schon seit Jahren am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Leo Blum befehligt das Team der Flensburger Spurensucher, das in brisanten Fällen wie diesem von der Insel-Kripo angefordert wird. Bastian kennt ihn noch sehr gut aus seiner eigenen Zeit in Flensburg und hält größte Stücke auf ihn.
»Sorry, Leo, das ging nicht gegen dich persönlich«, entschuldigt er sich prompt und hebt das Büchlein wieder auf. »Du kannst gleich nach Fingerabdrücken suchen. Aber was mich ärgert, ist diese bescheuerte Vorsicht. Ob du es glaubst oder nicht, die Dame hat tatsächlich in ihrer Kundenkartei alle Regeln des Datenschutzes befolgt. Hier stehen nur Nicknames drin, Alonso der Große und Michael der Wichtige und son Scheiß, dahinter dann die Vorlieben der jeweiligen Herren – aber keine einzige Telefonnummer. Nichts, aber auch absolut gar nichts, was uns weiterhelfen könnte. Der Kalender ist komplett leer, den hat sie gar nicht benutzt.«
»Scheint so, als sei Sibylla Polenz wirklich sehr professionell vorgegangen«, unterbricht ihn Silja. »Kein Vertrauensbruch den Kunden gegenüber, eine strikte Trennung von beruflicher und privater Existenz und darüber hinaus die Datenspeicherung in unterschiedlichen Medien.«
»Sag mal, wie redest du denn? Das hört sich ja an, als ob du dich täglich mit so etwas beschäftigen würdest.«
»Echt?« Betont harmlos hebt Silja die Augenbrauen. »Was du mir alles zutraust …«
»Nein, so war das natürlich nicht gemeint.« Bastians Tonfall ist deutlich anzuhören, dass er alles tun würde, um Silja bloß nicht auf die Palme zu bringen. »Aber du hast recht. Irgendwo müsste es noch einen Kalender geben. Schließlich scheint die rote Lola eine üppige Kundenschar gehabt zu haben.«
»Im Handy vielleicht?« Silja wendet sich an die Umstehenden. »Hat einer von euch irgendwo ein Handy gesehen?«
Als alle die Köpfe schütteln, gibt Bastian den Befehl zum Einsatz.
»Ihr könnt die anderen Räume jetzt gern auseinandernehmen. Silja und ich bleiben noch ein bisschen in diesem Zimmer. Wenn irgendwo ein Handy auftaucht, gebt ihr aber sofort Bescheid.«
»Aye, aye, Chef.« Spaßeshalber hebt Leo Blum die Hand zum Salut und schlägt die Hacken unter den blauen Überziehern zusammen. Doch Bastian Kreuzer lacht nicht, wie sonst immer, sondern zupft mit gerunzelter Stirn an der Bettwäsche herum. Bevor Blum den Raum verlassen kann, ruft er ihn noch einmal
Weitere Kostenlose Bücher