Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
und damit ihre Ehe auf eine ebenso perfide wie tragfähige Basis gestellt. Hat sie jedenfalls geglaubt. Bis ihre hinterhältige Schwägerin alles kaputtgemacht hat. Geschieht ihr selbst also ganz recht, wenn sie jetzt ein Opfer derselben Taktik wird.
Ein gutbezahltes Opfer, verbessert sie sich. 5000 Euro. Andere müssen dafür ein Auto knacken und es hinterher illegal in Polen verkaufen, wie ihr Bruder. Oder ein halbes Jahr lang schuften, manchmal 24 Stunden am Tag, wie ihre Schulfreundin Maria. In Dresden putzt sie seit Jahren sabbernden Greisen den Hintern ab, lässt sich von undankbaren Angehörigen auch noch beschimpfen oder sogar des Diebstahls bezichtigen, wenn die Alten endlich den Löffel abgegeben haben.
Und sie? Marga Mönchinger, geborene Lavro? Müsste nur ein paar Haare lassen. Für immerhin 5000 Euro.
Langsam streckt Marga die Hand nach dem Zettel mit der Handynummer aus. Ihre Hand zittert entsetzlich, so dass Marga die Nummer gar nicht lesen kann. Erst als sie den Zettel auf ihr Knie legt, gelingt es ihr, die Ziffern ins eigene Handy zu tippen.
Die Verbindung kommt fast sofort zustande, als habe jemand am anderen Ende auf ihren Anruf gewartet.
»Ich mache es«, sagt Marga mit leiser Stimme.
»Schön. Dann bleib wo du bist. Ich bin am Abend bei dir.«
Montag, 20. Juni, 13.05 Uhr,
Strandpromenade Westerland
Hungrig beißt Silja in das Matjesbrötchen. Die Semmel krümelt, der würzige Fisch entfaltet sein ganzes Aroma in ihrem Mund, ein Zwiebelring fällt zu Boden. Niemand kümmert sich darum, alle hier auf der Strandpromenade sind mit sich selbst beschäftigt. Während Silja ihre Mittagspause zu einem Spaziergang nutzt, streben um sie herum ganze Familien, beladen mit Luftmatratzen und Buddeleimern, ihrem Strandkorb zu. Ältere Ehepaare schlendern an der niedrigen Mauer entlang, die die Promenade zum Strand hin begrenzt, und mustern neugierig das Treiben im Sand. Die Körbe stehen hier dicht an dicht und rücken ganz nah an die Wasserkante heran. Bei Sturmflut müssen sie auf die Promenade gebracht werden, damit nichts passiert. In Hörnum, in Kampen und auch in List ist der Strand viel breiter, weiß Silja, und dort kann auch niemand angezogen und von oben die Badenden und sich Sonnenden beobachten. Nie käme sie selbst auf die Idee, sich hier einen Strandkorb zu nehmen. Aber vielen Badegästen scheint gerade die Enge und wahrscheinlich auch die schnelle Erreichbarkeit zu gefallen. Leer hat Silja den Westerländer Strand jedenfalls noch nie gesehen.
Doch in der vergangenen Woche, in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, muss er leer gewesen sein. Niemand hat beobachtet, wie eine Frau in der Nähe oder gar am Strand selbst getötet worden ist, wie sie am Flutsaum gründlich gewaschen und anschließend in aufreizender Pose in einem der Strandkörbe platziert worden ist. Das wiederum wäre in List oder Kampen vielleicht schwieriger gewesen. Dort kann man mit dem Auto nicht so nah an den Strand heranfahren, dass es nur wenige Treppenstufen sind, die man mit seiner menschlichen Last zu überwinden hat. Außerdem lockt gerade die Abgeschiedenheit der Strände in lauschigen Sommernächten Liebespärchen, Jugendgruppen und Nachtschwimmer an. Silja als geborene Sylterin weiß das genau. Hat es der Mörder auch gewusst? Kennt er sich gut aus auf Sylt? Hat er seine Tat kaltblütig geplant, und ist sie darum so perfekt gelungen?
Schaudernd muss Silja an das Schicksal ihrer eigenen kleinen Schwester denken, die als Kind entführt, vergewaltigt und getötet worden ist. Nie ist der Täter gefunden worden, und seit vielen Jahren trägt Silja schwer an diesem Wissen. Darum ist sie nach dem Abitur zur Kriminalpolizei gegangen, doch erst jetzt, nachdem sie begonnen hat, zusätzlich die Kunstgeschichtsvorlesungen in Hamburg zu besuchen, kann sie ermessen, wie diese Entscheidung ihr Leben geprägt hat und auch weiter prägen wird.
Silja ist gern Polizistin, das wird ihr immer stärker bewusst. Sicher, sie liebt ihre Hamburger Eskapaden, aber sie möchte auf die Ermittlungsarbeit bei der Sylter Truppe nicht verzichten. Es ist längst nicht mehr nur die furchtbare Erinnerung an damals, die sie antreibt. Und es ist auch nicht mehr der implizite Auftrag, den Silja aus der schrecklichen Erfahrung abgeleitet hat. Kümmere dich, setz dich ein, damit so etwas nie wieder unaufgeklärt bleiben muss. Es ist längst mehr.
Plötzlich wird Silja klar, dass sie bei diesem Fall, obwohl es sich doch wieder um ein
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