Mainfall
strich sich die langen weißen Haare ins Genick, rieb sich die Augen und kam dann gebeugt auf die Kajütentür zu.
»Was willst du wissen?«, fragte er mich.
»Ich suche eine Insel.«
Er lachte. Dabei sah man eine ganze Galerie von Goldplomben in seinen Zähnen, die ich diesem armen Kerl überhaupt nicht zugetraut hätte.
»Inseln gibt es hier wie Sand am Meer«, sagte er. »Such dir einfach eine aus!«
Er war inzwischen an Deck gekommen, streckte sich und blieb neben dem Steuer mit dem Handtuch stehen.
»Ich suche eine bestimmte Insel. Kennen Sie die Île du vin?«
Um meine Frage zu unterstreichen, zog ich mein Weinetikett aus dem Geldbeutel und reichte es ihm.
»Ein guter Wein«, murmelte er, »ein sehr guter Wein.«
»Kennen Sie die Insel?«, hakte ich nach.
Er sagte lange nichts, anscheinend überlegte er sich die Antwort reiflich.
»Warum willst du dorthin?« Seine Augen musterten mich jetzt lebhaft, wahrscheinlich kannte er die Antwort, überlegte allerdings, ob er sie einem Fremden geben sollte.
Sollte ich ihm die Wahrheit sagen? Würde er mich verstehen?
»Es kann sein, dass ich dort geboren wurde«, sagte ich, »aber ich weiß es nicht genau.«
»Aber man weiß doch, wo man geboren wurde«, lachte er. »Ich zum Beispiel kam in einem Taxi auf die Welt, im Zentrum von Marseille, weil es meine Mutter nicht mehr in die Klinik geschafft hat, und noch heute fahre ich gern Taxi.«
Ich lachte lauthals über seinen Witz und er freute sich darüber. Dann erzählte ich ihm, dass ich fast im Main ertrunken wäre und mich seitdem an nichts mehr erinnern konnte.
»Donnerwetter«, sagte er.
Er strich sich nachdenklich durch sein schneeweißes Haar, das sich glänzend von seiner dunkelbraunen, faltengegerbten Haut abhob.
»Die Île du vin kennt kaum jemand, jedenfalls nicht unter diesem Namen«, sagte er. »Es ist eigentlich auch nur ein Teil einer größeren Halbinsel, die einen ganz anderen Namen trägt.«
»Aber Sie kennen diese Halbinsel?«, fragte ich nach.
»Ja, ich kenne sie, aber ich war ewig nicht mehr dort«, sagte er ganz leise, als ob niemand außer uns dieses Geheimnis erfahren durfte.
Er zog eine zerknautschte Schachtel Gauloises aus seiner Hose, entnahm eine Zigarette, holte hinter dem Steuer ein Feuerzeug hervor, zündete die Zigarette an und blies feine Ringe in die Luft.
»Ich glaube nicht, dass dich jemand hinbringt«, sagte er. »Man erzählt sich die verrücktesten Geschichten von diesem Inselgebiet. Viele sollen dort schon verschwunden sein.«
Er blies weiter seine Ringe in die Luft und das Thema schien damit für ihn beendet. Allerdings änderte sich seine Meinung schlagartig, als ich eine Fünfhundert-Euro-Note aus meinem Geldbeutel zog. Das war zwar fast mein ganzes Urlaubsgeld, welches ich mir mühsam zusammengespart hatte, jedoch wollte ich meine Insel so gern erreichen, dass ich alles auf eine Karte setzte.
»Das ist etwas anderes, Monsieur«, sagte er und lächelte. Er griff nach dem Schein, doch ich zog ihn schnell zurück.
»Erst auf der Île du vin«, sagte ich.
»Aber wir brauchen Proviant«, versuchte er es weiter.
»Den werde ich bezahlen. Sagen Sie mir, was wir benötigen.«
Er zählte alles auf, was seiner Meinung nach nötig war, wobei immerhin sechs Flaschen Cognac, zehn Flaschen Rotwein und 30 Schachteln Gauloises auf seinem Programm standen. Ich versprach, den Proviant zu beschaffen, und wir vereinbarten, dass ich die Dinge kaufen und damit in zwei Stunden zum Kai kommen würde, wo die Boote für die Hafenrundfahrten lagen. Dort wollte er mich mit seiner Jacht abholen. Ich war erstaunt, wie viel Energie plötzlich in dem ausgemergelten, sonnenverbrannten alten Mann steckte, seit er den Geldschein gesehen hatte.
Zwei Stunden später ließ ich mich mit einem Taxi zum Kai bringen. Der alte Kapitän wartete bereits, trug ein Shirt über seiner blauen Hose, hatte sogar das Deck geschrubbt, die Angel aufgeräumt und machte den Eindruck, wirklich auf große Fahrt gehen zu wollen.
Wir luden die Vorräte an Bord: Mineralwasser, einige Konserven mit Obst und Gemüse, Nudeln, Zucker, mehrere Flaschen Ketchup und was er sonst noch vorgeschlagen hatte. Besonders wichtig waren ihm natürlich Cognac und Zigaretten und ich musste innerlich schmunzeln, als ich sah, wie liebevoll er sie unter seiner Pritsche verstaute.
Er wies mir die gegenüberliegende Pritsche zu und zeigte mir, dass ich meine privaten Dinge darunterlegen sollte.
»Falls wir Seegang bekommen, muss
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