Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
Vom Netzwerk:
mögen«, gab Dieter zurück. »Wenn dein
Freund ein Mitglied des Good Night ist, ist sein Liebhaber höchstwahrscheinlich
kein Profi.«
    »Wirklich?«
    »Du strafst deinen Hintergrund Lügen, Walter. Nicht jeder ist ein
Kunde oder eine Hure. Es könnte etwas anderes sein.“
    »Wie etwa?«
    »Liebe«, erwiderte Dieter. »Bist du schon mal im Good Night gewesen?“
    »Einmal.«
    »Huren haben da keinen Zutritt«, sagte Dieter. Und dann betont:
»Lieferanten ebenfalls nicht. Ich bin überrascht, daß sie dich reingelassen
haben.«
    »Nun, es war Heiligabend.«
    »Dann waren sie sentimental.«
    Walter sah aus dem Fenster. Ein junges Paar schob schnell einen
Kinderwagen auf dem Bürgersteig vor sich her. Das Baby war nicht sichtbar, nur
die blaue Decke. Börsenmakler, dachte Walter. Das Kindermädchen hat seinen
freien Tag. Am Sonnabend schieben die stolzen Papas die Kinderwagen.
    »Du arbeitest jetzt auf der anderen Seite des Zauns?« fragte Dieter.
»Da du selbst mal Erpresser warst, bist du jetzt über die Möglichkeit besorgt,
dein Mann könnte erpreßt werden?«
    »Vielleicht.«
    »Vielleicht«, tadelte Dieter. Er genoß die Situation sichtlich. »Hör
zu, ehrlich, ich weiß nichts über diese Sache. Ich kann dir nur sagen, daß es
sich um eine rein romantische Geschichte handelt. Aber wenn du das Bild
herumzeigen willst, es gibt mehrere Lokale...«
    »Und du gibst mir ein Charakterzeugnis mit?«
    Dieter lachte. »Ich werde entzückt sein, mit absoluter Sicherheit
bestätigen zu können, daß du einen schlechten Charakter hast.«
    Dieter nannte ihm ein paar Bars und Clubs, worauf sie ein paar Minuten
harmlosen Small talk pflegten, bevor Walter aufstand und sich entschuldigte. Er
zeigte auf die kostspielige Einrichtung der Wohnung und sagte: »Es scheint dir
in jüngster Zeit gutzugehen, Dieter. Du hast Glück.«
    »Ich leiste nur meinen Beitrag zum deutschen Wirtschaftswunder.«
    »Die New Yorker Sitte hat noch nicht bei dir herumgeschnüffelt?«
fragte Walter. »Wenn sie Erfolg riechen, möchten sie meist auch mal
probieren.«
    Dieter durchschnitt die Luft mit einer verächtlichen Handbewegung.
»Wegen der hiesigen Polizei mache ich mir keine Sorgen«, sagte er.
    Wahrscheinlich nicht, dachte Walter. Dieter nicht, der das
Konzentrationslager und den rosa Winkel hinter sich hat. Er hatte die Gestapo
überlebt, die Stasi und all diese Organisationen des Kalten Krieges mit ihren
eigenartigen Abkürzungen, und das alles nur dadurch, daß er die privaten
Bedürfnisse mächtiger Fürsprecher erspürte und bediente. Wahrscheinlich konnte
er auch mit der New Yorker Polizei fertig werden.
    Aber wen hast du jetzt gefunden, Dieter?
    »Du bist sehr vorsichtig, nicht wahr?« fragte Walter, der plötzlich
eine unerklärliche Fürsorge für den kleinen Zuhälter empfand. Hat
wahrscheinlich was mit alten Zeiten zu tun, vermutete er.
    »Immer«, bestätigte Dieter. »Und du?«
    »Genauso.« Dann fügte er hinzu: »Aber du arbeitest in einem
gefährlichen Geschäft.«
    »Willst du damit sagen, daß mir eine Wahl bleibt?« fragte Dieter.
»Warum bist du wirklich gekommen, Walter?«
    »Habe ich dir doch gesagt.«
    »Und ich habe es gehört«, erwiderte Dieter. »Eins glaube ich aber
wirklich: Wenn man an einem Wochenende frühmorgens einen alten Freund weckt
und ihn dazu bringt, einen schönen jungen Mann wegzuschicken, schuldet man
diesem Freund wenigstens andeutungsweise die Wahrheit.«
    »Kennst du eine Marta Marlund?«
    »Ja, sicher«, sagte Dieter. »Filmschauspielerin.«
    »Mehr?«
    Dieter machte eine Pause, bevor er antwortete.
    »Hure.«
    »Wessen?«
    Dieter zog seine dichten blonden Augenbrauen hoch
und runzelte die Stirn. »Bitte, Walter, du solltest es wissen.« Walter
schüttelte den Kopf. »Deine«, sagte Dieter. »Ich bin pensioniert«, erwiderte
Walter. »Dann die deines Nachfolgers.“

»Dieses groben Kerls.“
    »Ja«, sagte Dieter ungeduldig. »Morrison.« Dieter
mußte überrascht gewesen sein, als Walter lachte. »Das amüsiert dich, Walter?“
    »Ich bin eher überrascht.«
    Allerdings ist es eine gute Frage, weshalb ich
überrascht sein sollte. Weshalb sollte es mich überraschen, daß die Firma eine
Operation gegen Joe Keneally laufen hat?
    Außerdem: Kann mir das nicht egal sein?
    »Nun, paß gut auf dich auf, alter Freund«, sagte
Walter.
    »Du auch.«
    Das werde ich, Dieter.
    Oder es zumindest versuchen.
     
    Walter schnappte sich ein Taxi, stieg im Washington Square Park aus
und ging eilig zu Annes

Weitere Kostenlose Bücher