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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Hure der Firma. Würde Anne nicht schockiert sein, wenn sie erfuhr,
daß sie mit der Firma im Bett gelegen hatte? In den Armen Martas?
    Oder übrigens auch meinen?
    Als er noch bei der Firma war, hatte er es ihr natürlich nicht
erzählen können. Und sie hatte anscheinend geglaubt oder zumindest nie in Frage
gestellt, was er über seine Tätigkeit bei Scandamerican Import/Export erzählt
hatte. Nachdem er die Firma verlassen hatte, hatten seine Agenten alles
aufgeräumt und weggewischt. Es schien keinen Sinn zu haben, ihr jetzt von
seiner Vergangenheit zu erzählen.
    Das stimmt nicht, dachte er. Du hast immer noch Angst, es ihr zu
sagen, so wie sie Angst gehabt hat, dir von ihrer anderen Seite zu erzählen.
Und jetzt kehrt unser beider dunkle Vergangenheit in Gestalt Marta Marlunds
zurück.
    Die Michael Morrison zum Weinen gebracht hatte. Michael Morrison, der
gegen alle Regeln verstoßen hatte, indem er mit einer gedungenen Gehilfin
geschlafen hatte. Anschließend hatte er Impotenz vorgetäuscht, um die Spur
seiner Schuld zu verwischen, dieser verlogene Hund.
    Doch das bist du auch, dachte Walter. Und das solltest du ihr sagen.
Es vielleicht beiläufig bei einem Drink im Duplex erwähnen. Liebling,
ist die Musik nicht wundervoll? Habe ich dir übrigens schon mal erzählt, daß
ich in unseren Jahren in Europa ein Spion der CIA war? Möchtest du einen
Espresso? Richtig, das müßte genügen. Dann sollte er hinzufügen: Übrigens,
deine gelegentliche sapphische Geliebte ist eine Hure der Firma. Vielleicht
solltest du in Zukunft ein bißchen diskreter mit deinen Kopfkissengeschichten
sein.
    Ja, du solltest es ihr sagen. Nur für den Fall, daß Marta tatsächlich einen Job für Morrison und die Firma erledigt. Aber du kannst es ihr
natürlich nur dann erzählen, wenn du ihr auch verrätst, woher du diese
geschmacklosen Geschichten kennst. Sag ihr, daß dein Leben mit ihr weitgehend
eine Lüge gewesen ist.
    Doch auch das stimmt nicht ganz. Die Liebe war keine Lüge. Die Liebe
war real.
    Und du bist nie mit einer anderen Frau ins Bett gegangen. Mit einem
anderen Mann übrigens auch nicht, falls das der korrektere Vergleich sein
sollte.
    Du hast sie nie betrogen.
     
    Walter schlenderte zur Hudson Street, zur White Horse Tavern. Das
White Horse, dachte Walter, in dem Dylan Thomas seinen letzten Drink nahm,
bevor er unsanft in diese gute Nacht hinaustorkelte. In dem alten Pub war es
still. An seinen alten, mit Holzpaneelen verkleideten Wänden kippten ein paar
irische Stauer ihr Bier, und in einer Nische saßen einige junge Intellektuelle
aus dem Village und diskutierten. Walter fragte sich, was es sein mochte,
worüber junge Intellektuelle aus dem Village heutzutage diskutierten. In diesem
Fall war es Brigitte Bardot, wie Walter aufschnappte.
    Und immer lockt das Weib — ja, tatsächlich, dachte Walter.
     
    Walter setzte sich auf einen Hocker an der Bar.
    Es gibt nur wenige Dinge, dachte Walter, die ein Mann tun kann, wenn
er Ärger mit einer Frau hat: trinken, arbeiten oder fischen gehen. Walter
Withers hatte nicht die Zeit, aufs Land zu fahren, um sich einen guten
Forellenbach zu suchen, und so begann er an einer Flasche Jamieson's zu
arbeiten.
    Walters bisheriges Leben hatte auf strikter Selbstbeherrschung
beruht. Er hatte den Deckel sozusagen zugelassen - fest —, so daß
schon das Abnehmen des Deckels eine symbolische Handlung war. Er war sich
dessen natürlich bewußt. Wenn jemand so viele Jahre lang strikte
Selbstbeherrschung übt, bemerkt er schon das kleinste Nachlassen der Disziplin,
und das Trinken während der Arbeitszeit ist keine Kleinigkeit.
    Es ist paradox, hatte sein Vater ihm gesagt. Ungeheure
Selbstbeherrschung bringt ungeheure Freiheit mit sich. Eine Tyrannei des
Geistes erlaubt einem Freiheit des Handelns. Undisziplinierte Menschen
entscheiden sich nie frei für ihr Handeln, disziplinierte jedoch immer.
    Sehr schön, dachte Walter Withers an diesem kalten grauen Sonnabend.
Ich habe mich entschieden zu trinken. Zu trinken und häßlich zu sein. Zu
trinken und grausam zu sein.
    Letztlich, dachte er, ist das Abschlachten der unschuldigen Kinder
durch Herodes das blutige Nachspiel von Weihnachten. Und man feiert es nur
nicht, damit es die Weihnachtsgefühle nicht ruiniert. Josef und Maria
schmuggelten das Zielobjekt — oder brachten es heimlich wieder zurück, wenn
man so will — über die feindliche Grenze, als es wieder sicher war, und hielten
es dreißig Jahre lang unter Verschluß. Ein Schläfer,

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