Mantramänner
Boden zusammen und hielt meine Knie mit der freien Hand fest, als könnte ich sonst in tausend Teile zerbrechen. »Und mir erzählt er, Sex wäre was Heiliges!«
»Das ist vielleicht ein schwacher Trost, aber ganz ehrlich: Du hast nichts verpasst.«
Darauf fiel mir nichts mehr ein. »Evke?« Als Nadine weitersprach, war kein Spott mehr in ihrer Stimme, kein irres Kichern, keine Belustigung. Sie klang eher ein bisschen enttäuscht. »Verzeih mir, ich wollte dich nicht kränken«, sagte sie leise. »Ich hatte ja wirklich keine Ahnung … shit, du bist echt verliebt, oder?«
»Ich weiß nicht«, meine Gedanken fuhren Achterbahn, »ich … es ist gerade alles ein bisschen viel.«
Wir schwiegen. Draußen röhrte ein Motorrad vorbei. Schließlich nahm Nadine das Gespräch wieder auf.
»Das ist eine üble Sache für dich«, sagte sie, »vor allem wegen Melli. Ich finde, das hat dieser Esocasanova nicht verdient, dass seinetwegen eure Freundschaft kaputtgeht. Dass sie es auf diese Weise zufällig erfährt, ist natürlich bitter. So wie ich Melli kenne, trifft sie das hart.«
»Und was ist mit mir?«, jammerte ich. »Wieder ein Traum zerstört! Hab ich denn nicht auch mal das Recht auf ein bisschen Glück?«
»Ja, Evke«, erwiderte sie sanft. »Natürlich. Aber ich hab’s dir neulich schon gesagt: Solange du dem Glück so verbissen hinterherrennst, fühlt sich kein Mann von dir gemeint. Vielleicht solltest du erst einmal mit dir selbst klarkommen, bevor du dich wieder auf den nächsten stürzt. Aber vor allem solltest du dich ganz schnell wieder mit Melli versöhnen. Ihr braucht euch doch, mehr, als ihr die Männer braucht! He! Grobian!«
Ich hörte etwas poltern, dann wieder Nadines Stimme.
»Jetzt hat mich der Malte doch glatt runtergeworfen. Hat ihm wohl nicht gepasst, dass ich auf seinem Schoß über Männer geschimpft habe.«
»Na dann«, sagte ich mutlos, »viel Spaß noch. Ich bin sicher, du findest schnell einen anderen Schoßsitzplatz.«
»Jetzt warte doch mal«, Nadines Stimme klang plötzlich elektrisiert, »ich habe gerade eine sensationelle Idee!«
Nach dem Gespräch legte ich auf und sah mich im Wohnzimmer um. Alles sah grau aus. Unbelebt. Tot. Das reinste Leichenschauhaus. Sogar das Sofa wirkte irgendwie fahl. Zugemüllt hatte es mir besser gefallen.
Es hatte eben auch lange nichts Schönes mehr erlebt.
Seit der Nacht mit Chris, um genau zu sein. Siv hatte ja nie ins Wohnzimmer gedurft. Wegen …
Mein Blick fiel auf den Ficus. Diese blöde Pflanze mit ihren idiotischen Babyblättchen. Von wegen kosmisches Zeichen. Hatte mir auch nichts genützt.
Ich war ein Nichts. Ein Niemand. Ich schaffte es nicht einmal, eine hundsgewöhnliche Zimmerpflanze bei Laune zu halten. Geschweige
denn einen Mann. Meine beste Freundin hatte ich auch noch verloren. Und mein Vater? Der zeugte mit fünfundfünfzig einfach mal so nebenbei eine neue Familie, weil die alte ihm nicht gut genug gewesen war. Meine Mutter und ich.
Ich dachte an Nadines Plan, um mich aufzumuntern. Es half. Allerdings nur ein ganz kleines bisschen.
Ich griff nach dem schweren Terrakotta-Übertopf, klemmte ihn unter den linken Arm und öffnete mit rechts die Balkontür. Hitze schlug mir entgegen, ein mobiler Eiswagen bimmelte, jemand lachte. Da draußen lebten und liebten Menschen. Sie taten es ohne mich. Immer taten sie es ohne mich.
Die würden sich noch wundern.
Einen Moment lang ließ ich den Ficus im Übertopf auf dem Geländer balancieren. Er kippelte leicht, so wie ein Kind, das über ein Mäuerchen stakst, dann bekam er Übergewicht. Ich schloss die Augen, dann hörte ich den Aufprall auf der Straße, das hohe Splittern von Scherben. Ein Geräusch, das wenigstens für einige Sekunden die Explosionen in meinem Kopf übertönte.
Welch eine Wohltat.
»Evke?«
Wo kam diese Stimme nun wieder her? Wütend drehte ich mich um. Etwa wieder ein Buddha auf einem Schriftstück, das ich irgendwo liegen gelassen hatte?
Nein. Das kam eindeutig von draußen.
»Evke? Ich versteh ja, dass du wütend auf mich bist, aber musst du mich gleich umbringen?«
Ich beugte mich über das Balkongeländer. Unten vor der Eingangstür stand mein Vater auf einem Bein. Das andere hatte er angewinkelt und wischte Erdkrümel von seiner Hose. Dabei sah er mich an. So liebevoll, wie mich lange keiner mehr angesehen hatte.
»Evke, mein Herz«, fragte er, »darf ich bitte raufkommen?«
ANJANEYASANA
Die Halbmondstellung (Anjaneyasana) hilft, den eigenen Geist zu
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