Marco Polo der Besessene 2
diesen Gesang dieser Religion anpassen. Infolgedessen brauchten sie aus dem »Kleinod« nur »Buddha« - oder Pota -zu machen, denn dieser wird sehr häufig auch als auf einer riesigen Lotusblüte meditierend dargestellt. Infolgedessen kann der Vers etwa folgendermaßen gedeutet werden: »Amen! Pota ist auf seinem Platz! Amen!« Später kamen dann zweifellos irgendwelche lamas auf die Idee -so wie selbsternannte Weise stets noch den reinsten Glauben mit ihren unerbetenen Kommentaren und Deutungen verkomplizieren -, den schlichten Gesang mit abstruseren Aspekten auszuschmücken. Sie befanden daher, das Wort mani (Kleinod, männliches Geschlechtsorgan, Pota) sollte fürderhin Der Weg bedeuten und das Wort pémé (Lotus, weibliches Geschlechtsorgan, Potas Platz) sei fortan als Nirvana zu deuten. So wurde aus dem Gesang ein Gebet, in dem Der Weg angefleht wurde, zu jenem Nirvana-Vergessen zu führen, das den Potaisten als höchstes Lebensziel gilt: »Amen! Lösch mich aus! Amen!«
Gewiß, der Potaismus besaß keine lobenswerte Verbindung mehr zur sexuellen Beziehung zwischen Mann und Frau, weil mindestens jeder dritte Bho-Mann in der Pubertät oder noch früher sich der Möglichkeit entzog, jemals Sex mit einer Bho-Frau unterhalten zu müssen, und das rote Mönchsgewand anzog. Soweit ich sah, war das Gelübde der Ehelosigkeit das einzige Erfordernis, um in einen Pota-là eintreten und später in den Rängen des Mönchs-und Priestertums aufsteigen zu können. Den chabis oder Novizen wurde nicht im mindesten eine weltliche oder seminaristisch-religiöse Erziehung zuteil, und ich bin höchstens drei oder vier von den ältesten und im höchsten Rang stehenden lamas begegnet, die das Om mani pémé hum zumindest lesen oder schreiben konnten, von den einhundertundacht Büchern des Kandjur nicht zu reden und ganz zu schweigen von den fünfundzwanzig Tengyur-Büchern, welche die Kommentare zum Kandjur enthalten. Was jedoch die Ehelosigkeit der frommen Männer betrifft, so hätte ich wohl rechtens eher von Keuschheit Frauen gegenüber reden sollen; denn viele von den lamas und trapas machten aus der Verliebtheit, die sie füreinander hegten, kein Hehl und ließen somit auch keinen Zweifel daran, daß sie dem unerquicklichen gewöhnlichen und normalen Geschlechtsleben vollständig abgeschworen hatten.
Nun erwies es sich, daß der Potaismus eine Religion ist, bei der nur auf die Quantität der Frömmigkeit Wert gelegt wurde und keineswegs auf deren Qualität. Darunter verstehe ich, daß einer, der das Vergessen sucht, in seinem Leben nur oft genug das Om mani pémé hum zu wiederholen braucht; er kann davon ausgehen, gleich nach dem Tod in das Nirvana einzugehen. Er braucht diese Worte nicht einmal selbst zu sprechen oder auf eine Art zu wiederholen, an der er willentlich beteiligt sein muß. Ich habe die Gebetsmühlen erwähnt; diese waren in den lamasarais ebenso allgegenwärtig wie in den Häusern, ja, man stieß sogar draußen auf dem Lande auf sie. Es handelt sich um trommelartige Zylinder, in denen Schriftrollen mit dem mani-Spruch aufgerollt sind. Diese Zylinder brauchte man mit der Hand nur in Drehung zu versetzen, und die »Wiederholungen« des Spruches werden ihm gleichsam gutgeschrieben. Manchmal wurden diese Gebetsmühlen wassermühlengleich betrieben, so daß ein Fluß oder ein Wasserfall sie ständig drehte und beten ließ. Oder aber man zog eine Flagge auf, die -einmal oder viele Male - diese Inschrift trug; diese bekam man in To-Bhot weit häufiger zu sehen als irgendwelche Wäsche auf der Leine, und jedes Knattern und Rauschen der Flagge kam ihm zugute. Oder aber er konnte mit der Hand über die auf einer Schnur aufgereihten Schulterblattknochen von Schafen hinwegstreichen, auf die der mani-Spruch aufgeschrieben worden war; das klang dann wie eine Pritsche, und sie beteten für ihn, solange sie fortfuhren zu klappern.
Einmal stieß ich auf einen trapa, der neben einem Bach hockte, immer und immer wieder ein an einer Schnur befestigtes Keramikplättchen ins Wasser warf und es wieder herausfischte. Das, so sagte er, mache er nun bereits sein gesamtes Erwachsenenleben hindurch und werde damit fortfahren bis an seinen Tod.
»Was zu tun?« fragte ich und meinte, vielleicht habe er auf irgendeine mir unverständliche Bho-Weise klarmachen wollen, daß er es dem Heiligen Petrus nachmache und sich als Menschenfischer betätige. Der Mönch zeigte mir sein Keramikplättchen: eingegraben in die Oberfläche war wie mit
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