Marco Polo der Besessene 2
ein stakkatohaftes Zschsch-zschschzschsch, als die Yi mit großer Geschwindigkeit, aber nicht mehr wie ein Mann neue Pfeile aus dem Köcher zogen, sie -während der vorhergehende noch flog -mit der Kerbe in die Bogensehne einsetzten und abschwirren ließen und dabei selbst auf das bok regelrecht zustürzten. Die Pfeile fuhren in hohem Bogen durch die Luft und verdunkelten vorübergehend das hellere Himmelsblau, während sie im Dahinfliegen schrumpften und aus erkennbaren Schäften schlanke Ruten, kurze Schößlinge, Zahnstocher und Borsten wurden, die ihren Flug verlangsamten, ihre Bahn abflachten und zu einem dünnen grauen Dunstschleier wurden, der sich auf das Lager herabsenkte und nicht gefährlicher wirkte als ein grau herniedergehendes Morgennieseln. Wir Beobachter, die wir hinter, aber nicht weit von den Bogenschützen entfernt standen, hatten das erste Sichregen des Angriffs gehört und gesehen. Die Ziele jedoch, auf den er sich richtete -die Frauen, die schon auf den Beinen waren, die Pferde und die liegenden Männer -, hätten vermutlich überhaupt nichts gemerkt, bis die Tausende von Pfeilen auf sie und um sie herum und in sie hinein herniederregneten. Am Ende ihrer Flugbahn jedoch alles andere als ein anmutiger Schleier, fuhren die scharf zugespitzten und schweren und durchaus schnell dahinschießenden Pfeile mit beträchtlicher Wucht hernieder, und viele müssen Fleisch getroffen und sich bis auf die Knochen hineingebohrt haben.
Und dann stürzten die am weitesten nach vorn vorgeschobenen Yi sich auf den Rand des Lagers, stießen jedoch immer noch keinen warnenden Schrei aus, sondern hatten -ungeachtet der immer noch herniedersausenden Pfeile ihrer Gefährten -ihre Schwerter und Lanzen gezückt und hieben und stießen zu und schlitzten auf. Wir, die wir höher oben standen, sahen die ganze Zeit über immer neusprießende Yi-Krieger sich rings aus dem Berghang in die Höhe schieben, als ob die Vegetation des Tals unablässig sproß und zu dunklen Blumen erblühte, die sich als stehende Bogenschützen erwiesen, diese dann abschüttelte und zum Bok hinunterlaufen ließ und dort erneut mit noch mehr von ihnen aufblühten: Und jetzt kam auch Lärm auf -lauter als das Wind-und-Regen-Rauschen der Pfeile -, Alarmrufe, Aufheulen, Angst-und Schmerzensschreie der Leute im Lager. Als dieser Lärm einsetzte und der Moment der Überraschung vorüber war, erlaubten sich auch die Yi, als sie jetzt über ihre Opfer herfielen, ihr Schlachtgeschrei auszustoßen, jene gellenden Rufe, mit denen der Krieger sich selbst Mut macht, die seine Wildheit entfesseln und, wie er hofft, seinen Feinden Angst einjagen.
Als unten im Tal der Lärm losbrach und alles heillos durcheinander war, sagte Bayan: »Ich glaube, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, Marco Polo. Die Yi laufen alle auf das bok zu, es springen keine mehr auf, und ich kann keine Reserven außerhalb des Schlachtfeldes erkennen.«
»Jetzt?« sagte ich. »Seid ihr sicher, Orlok? Ich werde weithin zu sehen sein, wenn ich hier stehe und das Banner schwenke. Die Yi könnten Verdacht schöpfen und innehalten. Falls sie mich nicht gleich mit einem Pfeil niederstrecken.«
»Keine Sorge«, sagte er. »Ein Krieger, der vordringt, schaut niemals zurück. Klettert dort hinauf!«
So raffte ich mich in die Höhe und erwartete jeden Augenblick, daß mit Wumm mein Lederkoller durchbohrt wurde; so wickelte ich das Bannertuch von meiner Lanze ab. Als nichts mich niederstreckte, packte ich die Lanze mit beiden Händen und reckte das Banner so hoch, wie ich konnte, und schwenkte es von links nach rechts und zurück, wobei das Gelb hell im Morgenlicht leuchtete und das Seidentuch munter knatterte. Ich konnte es unmöglich einfach nur ein-oder zweimal hin-und herschwenken und mich dann fallen lassen in der Annahme, daß man das von weitem gesehen hätte. Ich mußte so lange stehenbleiben, bis ich wußte, daß die Techniker in der Ferne das Signal erkannt und entsprechend darauf reagiert hatten. In Gedanken rechnete ich:
Wie lange wird es dauern? In unsere Richtung schauen müssen sie schon. Jawohl, das wußten sie bestimmt, wo wir standen, nämlich hinter den letzten Reihen der Feinde. Folglich spähen die Waffenmeister von ihrem hochgelegenen Versteck aus in diese Richtung. Sie suchen dieses Ende des Tals ab und warten gespannt darauf, daß sich irgendwo im allgemeinen Grün ein gelber Fleck bewegt. Jetzt -hui! alalà! evviva! -sehen sie, wie in der Ferne das winzige Banner geschwenkt
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