Marco Polo der Besessene 2
wird. Jetzt kriechen sie eilends zurück von ihrem Ausguck dorthin, wo sie zuvor ihre Messingkugeln versteckt haben. Dafür gib ihnen ein paar Augenblicke. Sehr schön, jetzt nehmen sie ihre schwelenden Räucherstäbchen und blasen darauf -sofern sie so vernünftig waren, diese schon vorher angezündet und schwelend bereitgelegt zu haben. Vielleicht haben sie das doch nicht getan! Wenn nicht, müssen sie jetzt umständlich mit Stahl, Feuerstein und Zunder Feuer schlagen…
Geben wir ihnen dafür ein paar Augenblicke. Himmel, wurde das Banner schwer! Na schön, jetzt aber müssen sie den Zunder doch glimmen haben, und jetzt entfachen sie eine helle Flamme aus trockenem Laub oder ähnlichem. Jetzt haben sie alle einen Zweig oder ein Räucherstäbchen in Brand gesetzt, und jetzt tragen sie dieses hinüber zu der Messingkugel. Jetzt halten sie das Flämmchen an den Docht. Jetzt brennt der Docht, sprüht Funken, und der Waffenmeister springt auf und läuft ein Stück weg, um sich in Sicherheit zu bringen…
Ich wünschte ihnen viel Glück und eine große Entfernung zwischen sich und der Kugel und sichere Deckung, denn ich selbst kam mir mittlerweile ganz besonders sichtbar und verwundbar und als Zielscheibe geeignet vor. Mir war, als schwenkte ich mein Banner und meine bravata und überhaupt meine Gestalt schon eine Ewigkeit; die Yi waren doch nicht blind, daß sie mich noch nicht entdeckt hatten! Jetzt -bis wie lange, hatte der Feuerwerksmeister gesagt? -langsam bis zehn zählen, nachdem die Dochte brannten. Ich zählte zehn langsame Schwenker mit meinem großen, knatternden gelben Banner.
Nichts rührte sich.
Caro Gèsu, was war schiefgegangen? Sollten die Techniker mich falsch verstanden haben? Die Arme taten mir weh vom Bannerschwenken, und ich schwitzte aus allen Poren; dabei stand die Sonne immer noch hinter den Bergen, und der Morgen war durchaus noch nicht warm. War es denkbar, daß die Waffenmeister abgewartet hatten, bis sie mein Signal sahen, ohne auch nur die Kugeln vorher in einer geeigneten Spalte festgeklemmt zu haben? Warum hatte ich den Erfolg dieses Unternehmens -und jetzt auch noch mein Leben -einem Dutzend begriffsstutziger mongolischer Offiziere in die Hände gelegt? Mußte ich denn immer noch dastehen und immer kraftloser immer noch weiter mit dem Banner hin-und herfahren, während die Waffenmeister in aller Ruhe taten, was sie schon längst hätten tun sollen? Und wie lange würde es danach noch dauern, bis sie endlich schwunglos in ihren Hüftbeuteln nach Stahl und Zunder suchten? Und mußte es sein, daß ich eine ganze Ewigkeit hindurch dieses außerordentlich auffällig leuchtendgelbe Banner schwenkte? Bayan mochte ja überzeugt sein, daß kein Krieger jemals freiwillig zurückschaute; aber so ein Yi brauchte doch bloß zu stolpern und hinzufallen, so daß er alle viere von sich streckte und vor allem den Kopf in unsere Richtung wandte! Einen so ungewöhnlichen Anblick, wie ich ihn darstellte, konnte er doch gar nicht übersehen! Da mußte er ja seinen Kameraden etwas zuschreien, sie aufmerksam machen, woraufhin sie auf mich zugestürmt kommen und im Laufen schon ihre Pfeile auf mich abschießen würden…
Die grüne Landschaft verschwamm, der Schweiß lief mir in die Augen; trotzdem sah ich es am Rande meines Gesichtsfeldes kurz gelb aufblinken. Maledetto! Ich ließ das Banner sinken; ich mußte es unbedingt höher halten! Doch dann stand da, wo es eben gelb aufgeblinkt hatte, ein blaues Rauchwölkchen vor dem Grün. Ich hörte das allgemeine Hui meiner immer noch lang im Gras ausgestreckten Freunde, dann sprangen sie auf und standen neben mir und riefen »Hui!« und immer wieder: »Hui!« Ich ließ Lanze und Bannertuch sinken, stand keuchend und schwitzend da und sah die gelben Blitze und den blauen Rauch der huo-yao-Kugeln tun, was sie tun sollten.
Im Zentrum des Tals, wo inzwischen die Yi und die Mongolen darstellenden Bho in ein inniges Handgemenge verstrickt waren, hatten die Kämpfenden eine riesige Staubwolke aufgerührt. Doch das Aufblitzen und das Aufwölken des Rauchs spielte sich hoch über dieser Staubwolke ab und wurde davon nicht verdunkelt. Und zwar spielte es sich genau dort ab, wo ich sie hingesteckt hätte, und barst blitzend und staubwölkchenbildend genau in den richtigen Spalten der hochragenden Felsklippen. Sie zündeten nicht alle gleichzeitig, sondern eine nach der anderen, höchstens einmal zwei zugleich, erst unterhalb dieses Gipfels, dann unterhalb jenes. Ich war
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