Marco Polo der Besessene 2
Sanddünen.
In Kithai gibt es für jeden Namen eine aufschlußreiche Legende, und dieser Legende zufolge waren diese Hügel einst üppig bewaldet und grün, bis sie von irgendwelchen bösen kwei oder Dämonen in Brand gesetzt wurden. Ein Affengott kam des Wegs und besaß die Freundlichkeit, das Feuer zu löschen, doch leider war nichts mehr übriggeblieben außer diesen drei berghohen Sandhaufen, die immer noch leuchten wie Glut. So die Legende. Ich selbst neige eher zu der Annahme, daß die Flammen-Hügel so heißen, weil der Sand, aus dem sie bestehen, aussieht wie Ocker, den der Wind zu flammenähnlichen Graten und gefurchten Gebilden aufgetürmt hat, die auch noch ständig hinter einem Vorhang aus heißer Luft zu wabern scheinen und insbesondere bei Sonnenuntergang - wirklich feurigrot und -gelb aufleuchten. Das Sonderbarste an ihnen war jedoch ein aus vier Eiern bestehendes Gelege, das Ussu und Donduk am Fuße einer der Dünen unter dem Sand freilegten. Ich hätte geglaubt, es handele sich um nichts weiter denn große Steine, vollkommen oval und glatt und ungefähr so groß wie die hami-Melonen. Donduk jedoch beteuerte immer wieder:
»Das sind die verlassenen Eier eines riesigen Rock-Vogels. Solche Nester findet man hier überall in den Flammen-Hügeln.«
Als ich eines in der Hand hielt, stellte ich fest, daß es für einen Stein dieser Größe in der Tat zu leicht war. Und als ich es genauer untersuchte, sah ich, daß es eine poröse Oberfläche hatte wie die Eier von Hühnern oder Enten oder anderen Vögeln. Es waren also wirklich Eier, kein Zweifel, und viel größer selbst als die des Kamel-Vogels, die ich auf den persischen Märkten gesehen hatte. Ich fragte mich, was für eine fortagiona das wohl ergäbe, wenn ich sie aufschlüge, durchrührte und uns zum Abendessen briete.
»Diese Flammen-Hügel«, meinte Ussu, »müssen früher einmal ein beliebter Nistplatz des Vogels Rock gewesen sein, Ferenghi, meint Ihr nicht auch?«
»Das muß aber schon sehr lange her sein«, meinte ich, denn ich hatte gerade versucht, eines der Eier aufzuschlagen. Wiewohl nicht so schwer wie ein Stein, mußte es in ferner Vergangenheit steinhart geworden sein. Die Eier waren also weder genießbar noch hätte man sie ausbrüten können -und sie waren viel zu groß, um sie als Andenken mitzuschleppen. Ganz gewiß handelte es sich um Eier, und zwar um Eier von einer Größe, die nur ein Riesenvogel gelegt haben konnte -ob es sich dabei jedoch um einen Vogel Rock gehandelt hat, weiß ich nicht zu sagen.
5
Dun-huang war eine blühende Handelsstadt, etwa so groß und so volkreich wie Kashgar und gelegen in einem sandigen Becken, das rings umstanden war von kamelfarbenen Felsklippen. Doch wo die Herbergen Kashgars vornehmlich muslimische Gäste versorgt hatten, war man in denen von Dunhuang besonders darum bemüht, dem Geschmack und den Sitten und Gebräuchen der Buddhisten zu entsprechen. Dies rührt daher, daß die Stadt vor etwa neunhundert Jahren gegründet wurde, da ein Kaufmann buddhistischen Glaubens irgendwo auf der Seidenstraße von Banditen oder den azghun-Stimmen oder kwei-Dämonen oder irgendwelchen anderen Feinden bedrängt und auf wunderbare Weise aus ihren Klauen errettet wurde. Deshalb legte er hier eine Ruhepause ein, um dem Buddha Dank zu sagen, was er dadurch zum Ausdruck brachte, daß er eine Statue ebendieses Gottes schnitzte und sie in einer Nische zwischen den Klippen aufstellte. In den neun Jahrhunderten, die seither vergangen sind, hat jeder buddhistische Reisende auf der Seidenstraße dazu beigetragen, die Höhlen auf irgendeine Weise zu verschönern. Daher wird der Name Dun-huang, wiewohl er eigentlich nichts anderes als Gelbe Klippen bedeutet, als Höhlen der Tausend Buddhas wiedergegeben.
Diese Bezeichnung stellt eine Untertreibung dar. Ich würde den Ort Höhlen der Million Buddhas nennen -mindestens. Denn es gibt heute dort einige hundert Höhlen, die in die Felsklippen hineinführen, einige natürliche, andere von Menschenhand hineingehauen, und darin vielleicht zweitausend große und kleine Buddha-Standbilder -von den Bildnissen kleinerer Gottheiten oder Angehörigen aus dem Gefolge des Buddha ganz zu schweigen. Ich konnte wohl erkennen, daß es sich bei den meisten Standbildern um Männer handelte, doch einige waren deutlich erkennbar Frauen -bei nicht wenigen freilich wußte man nicht recht zu sagen, ob sie nun Männer oder Frauen waren. Eines jedoch hatten sie alle gemeinsam: enorm
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