Marco Polo der Besessene 2
verlängerte Ohren mit Ohrläppchen, die ihnen bis auf die Schultern herabhingen.
»Es wird allgemein geglaubt«, berichtete ein alter Verwalter, ein Han, »daß jemandem, der mit großen Ohren und ausgeprägten Ohrläppchen zur Welt kommt, ein glückliches Schicksal beschieden ist. Da die am meisten vom Glück begünstigten Menschen der Buddha und seine Schüler waren, gehen wir davon aus, daß sie alle solche Ohren hatten, und so geben wir sie auch mit solchen Ohren wieder.«
Diesem betagten ubashi oder Mönch machte es ausgesprochen Freude, einen Rundgang durch die Höhlen mit mir zu machen und dabei Farsi mit mir zu sprechen. Ich folgte ihm von einer Nische und Grotte und einer Höhle zur anderen. In allen waren Standbilder des Buddha aufgerichtet -stehend oder friedlich schlafend daliegend oder -meistens -im Schneidersitz auf einer riesigen Lotusblüte sitzend. Der Mönch erklärte mir, Buddha sei ein altes indisches Wort, das »Der Erleuchtete« bedeute; der Buddha sei vor seiner Erhebung zum Gott ein indischer Fürst gewesen. Infolgedessen hätte man erwarten können, daß es sich bei den Bildnissen um die eines schwarzhäutigen, kleinwüchsigen Menschen handelte, doch das war nicht so. Der Buddhismus hat sich schon vor langer Zeit von Indien aus auf andere Länder ausgebreitet, und offenbar war es so, daß jeder fromme Reisende, der dafür bezahlte, daß eine Statue oder ein Gemälde aufgestellt werde, sich den Buddha so vorstellte, daß er aussah wie er selbst. Manche von den älteren Bildern zeigten in der Tat dunkle und hagere Gestalten wie Hindus, aber andre hätten fast alexandrinische Apollos oder geierähnliche Perser oder ledrige Mongolen sein können, und die neuesten wiesen überhaupt wachsglatte, durch keinerlei Runzeln oder Linien geprägte helle Züge mit heiterem Gesichtsausdruck und Schlitzaugen auf - mit anderen Worten, sie waren reine Han.
Es war auch deutlich zu erkennen, daß in der Vergangenheit oft muslimische Räuber durch Dun-huang gefegt waren, denn viele der Standbilder lagen heute in Stücke geschlagen und in Trümmern, so daß man ihren einfachen Aufbau aus Gips auf Röhricht oder Bambus gut erkennen konnte; zumindest waren sie arg entstellt. Wie ich bereits gesagt habe, verabscheuen die Muslims jede bildliche Darstellung eines Lebewesens. Hatten sie hier keine Zeit, eine Statue ganz zu zertrümmern, schlugen sie ihr zumindest den Kopf ab (der ja Sitz des Lebens ist) oder aber, wenn sie es noch eiliger haben, begnügen sie sich damit, ihnen die Augen auszustechen (die als Ausdruck des Lebens gelten). Die Muslims hatten sich sogar die Mühe gemacht, all den vielen Tausenden von gemalten Bildern an den Wänden die winzigen Augen auszukratzen -sogar denen von zarten und hübschen weiblichen Gestalten.
»Und die Frauen«, sagte der alte Mönch bekümmert, »sind noch nicht einmal Gottheiten.« Mit diesen Worten zeigte er auf eine lebendige kleine Gestalt. »Das ist eine Devatas, eine der himmlischen Tänzerinnen, die den gesegneten Seelen im Sukhavati, dem Reinen Land zwischen den Leben, zur Unterhaltung dienen, und diese hier« -er zeigte auf ein Mädchen, das im liegenden Zustand abgebildet war, in einem schwalbengleichen Wirbel von Röcken und Schleiern -»das ist eine Apsara, eine der himmlischen Versucherinnen.«
»Gibt es im buddhistischen Himmel Versucherinnen?« fragte ich, höchst angetan von dieser Vorstellung.
Naserümpfend sagte er: »Nur, um zu verhindern, daß das Reine Land übervölkert wird.«
»Was Ihr nicht sagt! Wieso denn das?«
»Die Apsaras haben die Aufgabe, heiligmäßige Männer hier auf Erden in Versuchung zu führen, damit ihre Seele in das Schreckliche Land zwischen den Leben verdammt werde, statt in den gebenedeiten Sukhavati zu gelangen.«
»Ah«, machte ich, um ihm zu zeigen, daß ich begriff. »Dann ist eine Apsara ein verführerisches Traumweib.«
Der Buddhismus weist noch ein paar andere Parallelen zum wahren Glauben auf. Buddhisten sind gehalten, nicht zu töten, keine Lügen zu verbreiten, nicht zu nehmen, was ihnen nicht gehört, und sich keinen sexuellen Ausschweifungen hinzugeben.
In anderer Hinsicht dagegen unterscheidet er sich sehr vom Christentum. Buddhisten werden auch aufgefordert, keine berauschenden Getränke zu sich zu nehmen, nach der Mittagsstunde nichts mehr zu essen, keine Lustbarkeiten zu besuchen, keinen Körperschmuck zu tragen und nicht auf bequemen Matratzen zu schlafen oder auch nur zu ruhen. In dieser Religion gibt
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