Marco Polo der Besessene 2
es Mönche, Nonnen und Priester, die ubashi, ubashanza und lama genannt werden. Genauso wie die unsrigen ermahnt werden, in Armut zu leben, hat auch Buddha ihnen die Armut vorgeschrieben, doch nur wenige halten sich an dies Gebot.
Zum Beispiel sagte Buddha seinen Anhängern, sie sollten nichts als »gelbe Gewänder« tragen -worunter er nichts anderes verstand als Lumpen, die durch Alter, Verfall und Schimmel jegliche Farbe verloren hätten. Doch gehorchen die buddhistischen Mönche und Nonnen diesem Gebot zwar buchstabengetreu, nicht aber dem Geist und dem Sinn nach; sie sind nämlich in teure Gewebe gewandet, die in Farbtönen gefärbt sind, welche von leuchtendem Gelb bis zu feurigem Orange gehen. Auch haben sie großartige Tempel, die potkada genannt werden, und Klöster, die lamasarais heißen und reichlich mit Einnahmen und Mobiliar ausgestattet sind. Außerdem habe ich den Verdacht, daß jeder Buddhist viel mehr persönliche Habe besitzt als das wenige, das der Buddha eigens aufgezählt hat und als da sind: eine Schlafmatte, drei Lumpen, sich damit zu bekleiden, ein Messer, eine Nadel, eine Bettelschale, sich damit die karge tägliche Mahlzeit zusammenzubetteln, und ein Sieb, um aus dem Trinkwasser alle unvorsichtigen Insekten oder Asseln herauszufischen, auf daß sie nicht verschluckt würden.
Der Wasserseiher verdeutlicht die wichtigste Regel des Buddhismus: kein Lebewesen, sei es noch so klein und unbedeutend, zu töten, weder absichtlich noch unabsichtlich. Das jedoch hat nichts mit dem Streben eines Christenmenschen zu tun, ein guter Mensch zu sein, um nach dem Tode in den Himmel zu kommen. Denn ein Buddhist glaubt, ein guter Mensch stirbt nur, um als besserer Mensch wiedergeboren zu werden, der es auf dem Weg zur Erleuchtung bereits weit gebracht hat. Und er glaubt auch, daß ein böser Mensch nur stirbt, um als niedrigeres Lebewesen wiedergeboren zu werden: als Tier, Vogel, Fisch oder Insekt. Das ist der Grund, warum kein Buddhist irgend etwas töten darf. Da auch noch das kleinste Bißchen Leben in der Schöpfung eine Seele besitzt, die sich bemüht, auf dem Weg der Erleuchtung aufzusteigen, wagt ein Buddhist es nicht, auch nur eine Laus zu zerquetschen, denn es könnte ja sein verstorbener Großvater sein, der nach seinem Ableben die Leiter heruntergefallen ist, oder sein künftiges Enkelkind auf dem Weg zur Wiedergeburt.
Christen können die Ehrfurcht des Buddhisten vor dem Leben bewundern, gleichgültig, welche Unlogik dahintersteht, nur gibt es leider zwei unvermeidliche Folgen. Die eine davon ist, daß jeder Buddhist, gleichgültig ob Mann, Frau oder Kind, ein wimmelndes Nest von Läusen und Flöhen ist, und ich fand, daß dieses Ungeziefer nur allzu bereitwillig auf christliche Ungläubige überspringt wie mich. Außerdem darf ein Buddhist selbstverständlich kein Fleisch essen. Die Frommen begnügen sich mit gekochtem Reis und Wasser, und selbst die freizügigsten werden es nicht wagen, etwas zu sich zu nehmen, das über Milch, Früchte und Gemüse hinausginge. Und das war es denn auch, was wir Reisende in der Herberge von Dun-huang vorgesetzt bekamen: mittags gekochte Blätter und Ranken und schwachen cha sowie fade schmeckenden Brei, und zum Schlafengehen Flöhe, Zecken, Läuse und Wanzen.
»Hier in Dun-huang hat früher einmal ein sehr heiliger Lama gelebt«, sagte mein Han-Mönch mit ehrfürchtiger Stimme, »so heilig, daß er nur rohen, ungekochten Reis aß. Um seine Demut noch zu steigern, trug er eine Eisenkette um den geschrumpften Leib. Die Reibung der rostigen Kette rief eine Schwäre hervor, die sich entzündete und in der sich Maden entwickelten. Kam es vor, daß eine dieser mampfenden Maden zufällig zu Boden fiel, hob der Lama sie liebevoll auf und sagte: ›Warum fliehst du mich, Geliebtes? Hast du nicht genug zu essen gefunden?‹ sagte es und setzte die Made wieder zurück in den saftigsten Teil der Wunde.«
Diese erbauliche Erzählung hat vielleicht meiner eigenen Demut keinen Vorschub geleistet, doch verdarb sie mir den Appetit, so daß ich an diesem Abend in der Herberge ohne weiteres auf den blassen Brei verzichten konnte, den es zum Abendessen gab. Der Mönch fuhr unterdessen fort: »Dieser Lama wurde schließlich eine wandelnde Schwäre, wurde davon verzehrt und starb daran. Wir beneiden und bewundern ihn alle, denn zweifellos ist er weit vorangekommen auf dem Weg der Erleuchtung.«
»Das hoffe ich aufrichtig«, sagte ich. »Aber was geschieht am Ende dieses Weges?
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