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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Kommt der Erleuchtete dann endlich in den Himmel?«
    »Doch nicht etwas so handfest Grobes«, sagte der ubashi. »Man hofft, durch aufeinanderfolgende Wiedergeburten und lebenslanges Streben schließlich von der Verpflichtung befreit zu werden, überhaupt leben zu müssen. Um der Knechtschaft menschlicher Bedürfnisse, Begierden, Leidenschaften und Kümmernisse endlich ledig zu sein. Man hofft, das nirvana zu erreichen, und das heißt: ›das Ausblasen‹.«
    Das war kein Spaß. Buddhisten haben nicht wie wir das Ziel, sich für die Seele ein ewig glückliches Dasein in den Wohnungen des Himmels zu verdienen. Buddhisten sehnen sich nur danach, völlig ausgelöscht zu werden oder, wie der Mönch es ausdrückte, »einszuwerden mit dem Unendlichen«. Er gab zwar zu, daß es in seiner Religion etliche himmlische Reine Länder und höllische Schreckliche Länder gibt, doch sind das ähnlich wie unser Fegefeuer oder Limbo -nur Stationen zwischen den aufeinanderfolgenden Wiedergeburten einer Seele bis zum Eingang ins nirvana. Und dort, am endgültigen Ziel, wird die Seele einfach ausgeblasen wie eine Kerzenflamme, um nie mehr weder Erde noch Himmel oder die Hölle oder überhaupt irgend etwas zu genießen oder zu erdulden.
    Ich hatte Anlaß, über diese Glaubensangelegenheiten nachzusinnen, als unsere Gesellschaft von Dun-huang aus weiterritt -und zwar an einem Tag, der wundersam erfüllt war von Dingen, über die nachzudenken sich lohnte.
    Bei Sonnenaufgang verließen wir die Herberge; es war die Stunde, da alle gerade erwachenden Vögel ihr Morgengezwitscher, -geschilpe und -gepiepse von sich gaben; und es waren ihrer so viele, und es ging so laut zu, daß es sich anhörte wie Fett, das in einer großen Pfanne zischte und brutzelte. Dann wurden die sich später erhebenden Tauben wach und verliehen gurrend ihren morgendlichen Kümmernissen und Beschwerden Ausdruck, nur in so großen Mengen, daß ihr tiefes Murren schon fast etwas von einem Aufbrüllen hatte. Eine nicht gerade kleine karwan verließ zugleich mit uns den Hof der Herberge, und in diesen Landstrichen trugen die Kamele ihre Glocken nicht an einem Band um den Hals, sondern an den Vorderknien. Deshalb schritten sie klingelnd und klirrend und bimmelnd aus, daß es klang, als jauchzten sie mit jedem Schritt, endlich wieder unterwegs zu sein. Ich ritt mit meinem Pferd neben einem der Wagen dieser karwan her, dessen eines Rad mit seinen Speichen irgendwo einen Jasminzweig abgerissen hatte und nun mit sich führte. Jedesmal, wenn das hohe Rad eine Umdrehung vollendet hatte, führte es die Jasminblüten an meiner Nase vorbei und wehte mich der süße Duft an.
    Die Straße, die uns aus dem Dun-huang-Becken hinausbrachte, führte durch einen Einschnitt in den von Höhlen durchzogenen Klippen, und dieser Einschnitt ging auf ein begrüntes Tal voller Bäume, Felder und Wildblumen hinaus, die letzte von derlei Oasen, die wir für die nächste Zeit zu sehen bekommen sollten. Auf dem Ritt durch dieses Tal erblickte ich etwas so unendlich Schönes, daß es mir heute noch vor dem inneren Auge steht. Irgendwo voraus wölkte sich in der Morgenbrise goldgelber Rauch, und wir alle machten einander darauf aufmerksam und redeten darüber, was es wohl sein möchte. Vielleicht stammte er von einem Lagerfeuer irgendeiner karwan, doch was mochten die Lagernden verbrennen, um eine so deutlich kennbare goldgelbe Wolke zu erzeugen? Der Rauch stieg immer weiter in die Höhe und ringelte sich empor, und schließlich kamen wir heran und erkannten, daß es sich mitnichten um Rauch handelte. Linkerhand erstreckte sich im Tal eine Weide, die über und über mit goldgelben Blüten bedeckt war, und all diese ungezählten und unzähligen Blumen schüttelten jauchzend ihre gelben Pollen aus, auf daß der leichte Wind sie über die Seidenstraße hintrüge, fort auf andere Hänge des Tals. Wir ritten durch diese Pollenwolke hindurch, und als wir auf der anderen Seite herauskamen, schimmerten wir und unsere Pferde im Licht der Sonne, als wären wir frisch vergoldet worden.
    Noch etwas. Vom Tal aus kamen wir auf ein Gelände aus sanft gewellten Sanddünen hinaus, doch der Sand hatte jetzt nicht mehr die Farbe von Kamelen oder Löwen, sondern war dunkel silbriggrau, wie pulverisiertes Metall. Nasenloch stieg vom Pferd, um sich zu erleichtern, und um sich von den anderen nicht dabei zusehen zu lassen, stapfte er eine graue Sanddüne hinauf. Zu seiner -und meiner -Überraschung bellte der Sand bei jedem

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