Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
alles arg mitgenommen von dem windgeblasenen Sand. Entstanden war die Stadt am Rande der trostlosen Gobi nur, weil hier die beiden Stränge der Seidenstraße, die sich zuvor getrennt hatten, wieder zusammenfanden -der südliche, über den wir die Stadt erreicht hatten, und jener andere, der die Takla Makan nördlich umrundet hatte. Hier in Anxi wurde daraus wieder die einzelne Straße, die, ohne sich nochmals zu verzweigen, ungezählte weitere li bis zur Hauptstadt Kithais, Khanbalik, führt. Hier, wo die Straßenstränge sich wieder vereinigten, herrschte selbstverständlich noch geschäftigeres Leben und größerer Verkehr von einzelnen Händlern und Gruppen und Familien und ganzen karwans.
    Doch als ich eine ganze Kolonne von maultiergezogenen Wagen vorüberziehen sah, fragte ich unseren Begleiter: »Was für eine karwan ist das? Sie zieht ja so langsam und lautlos einher.«
    Sämtliche Wagenräder waren mit Strohseiden und Lumpen umwickelt, um das Geräusch zu dämpfen, das sie machten; die Hufe der Maultiere waren gleichfalls aus irgendeinem Grunde mit irgend etwas umwickelt. Diese Maßnahmen hatten zwar nicht zur Folge, daß die Kolonne sich lautlos bewegte, denn Räder und Hufe gaben immer noch rumpelnde und quietschende Laute von sich, die Bodenbretter der Wagen knarrten und das lederne Zaumzeug knirschte; gleichwohl ging es hier leiser voran als bei den meisten anderen karwans. Außer den Han-Männern, welche die Gespanne antrieben, saßen andere Han auf Maultieren und machten die Vorreiter; als sie die karwan durch Anxi geleiteten, bildeten sie gleichsam eine Ehrengarde und bahnten der Kolonne einen Weg durch die von Menschen wimmelnden Straßen, ohne indes die Stimme zu erheben, um freien Durchzug zu fordern.
    Zuvorkommend wichen die Menschen beiseite, hörten mit ihrem eigenen Geschnatter auf und wandten die Augen ab, als handelte es sich um den Durchzug einer hochmögenden Persönlichkeit. Nur war da niemand im Zug außer diesen Fahrern und ihren Begleitern: Niemand fuhr auf einem der mehrere Dutzend Wagen. Darauf lagen nur längliche, stoffumwickelte Bündel, die wie Klafterholz aufeinandergestapelt waren. Was immer diese Bündel sein mochten - sie sahen sehr alt aus und verströmten einen trockenen, muffigen Geruch, und der Stoff, mit dem sie eingewickelt waren, war zerschlissen und hing in flatternden Fetzen herunter. Wurde den Wagen in den Fahrrinnen ein Stoß versetzt, lösten sich jedesmal Flocken von diesem Stoff.
    »Wie zerfallende Leichentücher«, sagte ich.
    Zu meiner Überraschung sagte Ussu: »Das sind es ja auch.« Um mit leiser Stimme hinzuzufügen: »Bekundet Achtung, Ferenghi! Wendet den Blick ab und starrt nicht hin, wenn sie vorüberziehen.«
    Erst als der Zug mit den gedämpften Rädern vorüber war, machte er den Mund wieder auf und erzählte mir, die Han hätten den innigen Wunsch, jeweils dort bestattet zu werden, wo sie geboren seien, und ihre Nachkommen scheuten keine Mühe, ihnen diesen Wunsch zu erfüllen. Da die meisten Han, die Herbergen und Läden an der weit, weit im Westen gelegenen Strecke der Seidenstraße betrieben, ursprünglich aus dem dichter besiedelten Osten des Landes stammten, wünschten sie, daß ihre Gebeine dort ruhen möchten. Aus diesem Grunde werde jeder Han, der im Westen sterbe, nicht besonders tief begraben; sei dann -nach vielen Jahren -eine genügende Anzahl von ihnen tot, stellten ihre Familien im Osten eine karwan zusammen und schickte diese in den Westen. Sodann würden sämtliche Leichen wieder ausgegraben, zusammengetragen und in ihre Heimat überführt. Das komme vielleicht jede Generation einmal vor, sagte Ussu, und so könne ich mich unter den Ferenghi glücklich schätzen, eine solche Leichen-karwan zu Gesicht bekommen zu haben.
    Von Kashgar an hatten wir die ganze Seidenstraße entlang immer wieder einmal einen kleinen Fluß überqueren müssen kleinere Flußläufe, die das Schmelzwasser der Berge im Süden herunterbrachten und in der Wüste im Norden rasch versickerten. Doch ein paar Wochen nach Anxi stellten wir fest, daß ein sehr viel bedeutenderer Fluß neben uns her gen Osten strömte. Anfangs war es ein munter springendes, klares Wasser, doch jedesmal, wenn die Straße uns wieder unmittelbar heranführte, bemerkten wir, daß der Fluß breiter, tiefer und reißender geworden war und wegen der Sickerstoffe, die er mitführte, eine zunehmend braungelbe Färbung annahm. So lautete auch sein Name -, Huang -der Gelbe Fluß. Der Huang

Weitere Kostenlose Bücher