Marco Polo der Besessene 2
heißhungrig über das Essen her, das uns köstlich mundete: es gab gedünstetes Ferkelfleisch in einer Knoblauchsauce, eingelegte Kapern mit Puffbohnen, die vertrauten miàn-Nudeln, eine Grütze, die sehr viel Ähnlichkeit mit unserer venezianischen Kastanienmehlpolenta hatte, einen cha mit Mandelaroma und zum Nachtisch rotkandierte kleine Saueräpfel mit einem kleinen Holzspieß zum Anfassen daran. Dann nahmen wir - jeder für sich in seinem Raum -ein Bad oder vielmehr: Wir wurden gebadet. Mein Vater und mein Onkel schienen dieses Bedientwerden so gleichmütig über sich ergehen zu lassen, als ob die jungen Frauen männliche Reiber in einer hamman gewesen wären. Für mich war es jedoch das erste Mal seit den Zeiten von Zia Zulià, daß ich von Frauenhänden gebadet wurde, und so empfand ich es als prickelnd und peinlich zugleich. Um mich abzulenken, betrachtete ich die Frau, statt darauf zu achten, was sie mit mir machte. Sie war eine junge Han, vielleicht etwas älter als ich, doch verstand ich mich damals noch nicht darauf, das Alter von so fremden Wesen zu schätzen. Sie war weit besser gekleidet, als es irgendeine Dienerin im Abendland gewesen wäre, gleichzeitig aber auch viel bescheidener, gelehriger und williger als je eine Dienerin bei uns daheim.
Sie hatte Gesicht und Hände, so hell wie Elfenbein, eine Fülle hochgekämmten blauschwarzen Haars, kaum eine Andeutung von Brauen und Lider offenbar überhaupt keine; und die Augen waren nicht zu sehen, weil die Öffnung so besonders schmal war und sie sie zudem immer niedergeschlagen hielt. Sie hatte rote, feucht schwellende Lippen, doch von einer Nase konnte eigentlich nicht die Rede sein. (Ich fand mich allmählich schon damit ab, in jenen Landen nie eine ausgeprägte Nase zu sehen zu bekommen, wie man ihr besonders in Verona begegnet.) Ihr elfenbeinernes Gesicht war in diesem Augenblick durch einen kleinen Schmutzfleck auf der Stirn entstellt, der von dem ko-tou auf dem Hof herrührte. Doch eine kleine Unvollkommenheit kann bei einer Frau etwas höchst Reizvolles sein, und so verspürte ich nachgerade den Wunsch, einmal zu sehen, wie denn der Rest der Frau unter ihren vielen Schichten Brokat -Stola, Wams, Rock, Schärpe, Bänder und anderer Putz aussehen mochte.
Ich war versucht, ihr anzudeuten, sobald sie mich gebadet hätte, könnte sie mir auch noch auf andere Weise zu Diensten sein, tat es dann aber doch nicht. Ich konnte ihre Sprache nicht, und beredte Gesten in dieser Hinsicht wären vielleicht eher verletzend denn als Einladung aufgefaßt worden. Auch wußte ich nicht, wie freizügig oder streng man hier in diesen Dingen war. Folglich meinte ich, es sei Vorsicht geboten, und als sie mit ihrer Aufgabe fertig war und ihren ko-tou gemacht hatte, ließ ich sie ziehen. Es war noch nicht spät, doch war es ein anstrengender Tag gewesen. Die Strapazen der Reise, die Erregung, endlich unser Ziel erreicht zu haben, und das wohlige Gefühl, welches das Bad in mir ausgelöst hatte -all das ließ mich augenblicklich in einen tiefen Schlaf sinken. Ich träumte davon, der Dienerin, wie bei einer Puppe, Schicht um Schicht aus ihren Kleidern herauszuhelfen, doch als ich sie gerade von dem letzten Gewand befreien wollte, verwandelte sie sich plötzlich in jenes andere Spielzeug: das Feuerbäume und Glitzerblumen genannte Schauspiel am nächtlichen Himmel…
Am Morgen brachten uns dieselben drei Frauen je ein Tablett mit dem Frühstück, das sie uns auf den Schoß setzten, während wir noch im Bett lagen. Während wir frühstückten, machten sie Wasser heiß, damit wir jeder noch ein Bad nehmen konnten. Ich finde, zweimal innerhalb eines Tages ein Vollbad zu nehmen, ist reichlich übertrieben. Hinterher kam Nasenloch mit einigen Stallburschen, die unser Reisegepäck brachten, und so kleideten wir uns nach dem Bad in die schönsten und am wenigsten getragenen Gewänder, die wir hatten. Das waren unsere persischen Trachten -tulband auf dem Kopf, bestickte Westen über lockeren Hemden mit engen Manschetten an den Armen, ein kamarband um die Hüfte und weitgeschnittene, pludrige Hosen, deren Beinlinge unten in die Schäfte gut sitzender Stiefel hineingesteckt waren. Unsere drei Mädchen kicherten und hielten sich nervös die Hand vor den Mund, wie Han-Frauen das immer tun, wenn sie lachen, doch beeilten sie sich, uns zu versichern, sie kicherten bloß aus Bewunderung darüber, wie hübsch wir aussähen.
Dann traf unser betagter Han-Führer von gestern abend ein,
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