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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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stellte sich diesmal als der Hofmathematiker Lin-ngan vor und führte uns zum Pavillon hinaus. Jetzt, bei hellem Tageslicht, konnte ich unsere Umgebung besser würdigen als am Tag zuvor. Er führte uns durch Arkaden und Bogengänge, vorüber anLauben aus Weinranken und Wandelgänge unter den Überständen schöngeschwungener Dächer entlang, über Terrassen, die auf in voller Blütenpracht stehende Gärten hinausgingen, über hochgewölbte Brücken, die über Lotus-Teiche und Bäche hinwegführten, in denen goldene Fische schwammen.
    Allgegenwärtig waren die Diener und Dienerinnen, zumeist Han, die reichgekleidet, doch ängstlich geschäftig ihren Aufgaben nachgingen, und dazwischen immer wieder Angehörige der mongolischen Palastwache in ihren Galauniformen, die starr wie die Statuen dastanden und Waffen in der Hand hielten, die sie beim geringsten Anlaß auch benutzen würden; aber gelegentlich erblickten wir auch einen müßig schlendernden Edelmann oder Ältesten oder Höfling, die alle so würdevoll und prächtig gekleidet waren und so bedeutend aussahen wie unser Führer Lin-ngan, den sie im Vorübergehen gemessen nickend grüßten.
    Die meisten Gänge wiesen keine festen Wände auf, sondern reichgeschnitzte oder mit Flechtwerk gefüllte durchbrochene Balustraden, erlesen gestaltete Säulen und von der Decke herunterhängende, künstlich klingelnde Glockenspiele, sowie Seidenquasten, die leise rauschten wie ein Pferdeschweif. Feste Korridore, welche die Sonne nicht erhellte, wurden von Laternen aus gefärbtem Moskowiterglas beleuchtet, die wie sanft schimmernde Monde aussahen und ein herrlich diffuses Licht verbreiteten; außerdem hing in jedem dieser Korridore der feine Dunst von wohlriechendem Weihrauch. Ob offen oder geschlossen -in allen Gängen standen Kunstwerke: elegante marmorne Sonnenuhren, lackierte Wandschirme und figurengeschmückte Gongs, die Standbilder von Löwen, Pferden, Drachen und anderen Tieren, die ich nicht kannte, sowie große Bronzeurnen und Vasen aus Porzellan und Jade, die überquollen von Schnittblumen.
    Wieder überquerten wir jenen Hof am Tor, den wir gestern abend als ersten betreten und in dem es immer noch oder bereits wieder von Reitpferden, Lasteseln, Kamelen, Karren, Wagen, Sänften und Menschen wimmelte. In dem ganzen Getriebe sah ich zufällig zwei Han gerade von ihren Maultieren absitzen, und obgleich es sich nur um zwei Gesichter in einer großen Menge handelte, hatte ich das unbestimmte Gefühl, diese Männer schon einmal gesehen zu haben. Nachdem er uns noch ein Stück weitergeführt hatte, brachte der alte Lin-ngan uns schließlich vor zwei gewaltige, nach Süden gehende Torflügel, ziseliert, vergoldet und in vielen Farben gelackt, Torflügel aus dicken Bohlen und mit Metallmontierungen und großen Buckelnägeln beschlagen, so daß man hätte meinen können, sie müßten dazu dienen, Giganten draußen -oder drinnen -zu halten. Die feine Greisenhand auf einem der schmiedeeisernen Türgriffe, die Drachen darstellen sollten, sagte Lin-ngan mit seiner leisen Stimme:
    »Das hier ist der cheng, die Halle der Gerechtigkeit, und um diese Stunde spricht der Khakhan Recht bei Klägern, Bittstellern und Missetätern. Wenn Ihr warten wolltet, bis das vorüber ist, meine Herren Polo -er möchte Euch gleich anschließend begrüßen.«
    Ohne sichtlichen Kraftaufwand stieß der zerbrechlich aussehende alte Mann die mächtigen Torflügel auf -sie mußten also sehr klug ausgewogen sein und in gutgeschmierten Scharnieren hängen -und forderte uns mit einer Verneigung auf einzutreten. Dann folgte er uns und schloß das Tor wieder hinter uns. Er blieb neben uns stehen und erwies sich beim Erklären dessen, was sich hier abspielte, als ausgesprochen hilfreich.
    Der cheng war eine weitläufige, hohe Halle, mindestens so groß wie ein Innenhof. Sein Dach wurde von geschnitzten und vergoldeten Säulen getragen, und die Wände waren mit rotem Leder überzogen, doch der Boden war frei von jeglichem Mobiliar. Nur am äußersten Ende ragte eine Plattform empor mit einem mächtigen, thronähnlichen Sessel darauf, flankiert von Reihen niedrigerer und weniger eleganter Polsterstühle. Auf diesen Sitzen saßen alle möglichen Würdenträger, und im Schatten hinter dem Podest standen noch andere Gestalten oder bewegten sich hin und her. Zwischen uns und dem Podest kniete eine große Schar von Bittstellern, die meisten vo n ihnen in der groben Kleidung von Bauern, doch andere auch in edlerem

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