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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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beraten und auch streiten -doch das endgültige Urteil lag ausschließlich im Ermessen des Khan Kubilai; an seinem Urteilsspruch war nicht zu rütteln, ein Einspruch dagegen nicht möglich. Ich bekam aber auch mit, daß seine Urteile manchmal witzig oder launisch, manchmal jedoch in ihrer Grausamkeit auch erschreckend ausfielen.
    Der alte Lin-ngan sagte gerade: »Bei dem Bauern, der da sein Bittgesuch stellt, handelt es sich um den Abgesandten eines ganzen Bauernbezirks aus der Provinz Ho-nan. Er berichtet, daß die Reisfelder von Heuschreckenschwärmen kahlgefressen sind. Eine Hungersnot drückt das Land, und die Bauern und ihre Familien verhungern. Der Abgesandte bittet jetzt um Hilfe für die Bewohner von Ho-nan und fragt, was getan werden könne. Schaut, die Minister haben sich mit der Frage befaßt und sie an den Khakhan weitergegeben. Jetzt wird die Zunge verkünden, was der Khakhan beschlossen hat.«
    Das tat die Zunge nun einem stakkatohaft hervorgestoßenen Han, von dem ich zwar nichts verstand, das jedoch Lin-ngan dolmetschte:
    »Also sprich Khan Kubilai. Wo sie sich am Reis gemästet haben, müßten die Heuschrecken köstlich schmecken. Die Familien Ho-nans haben die Erlaubnis des Khakhan, die Heuschrecken zu essen. Khan Kubilai hat gesprochen.«
    »Wahrlich«, brummte Onkel Mafîo, »der alte Tyrann ist immer noch von derselben leichtfertigen Herrscherlichkeit wie früher.«
    »Honig auf den Lippen und einen Dolch im Gürtel«, sagte mein Vater bewundernd.
    Als nächstes kam der Fall eines Provinznotars namens Xenning, der verantwortlich war für die Eintragung von Landüberschreibungen, Schenkungen und Testamentslegaten und dergleichen. Er wurde angeklagt -und für schuldig befunden -, seine Unterlagen gefälscht zu haben, um sich selbst zu bereichern. Die Zunge verkündete den Urteilsspruch, und Lin-ngan dolmetschte:
    »Also spricht Khan Kubilai. Notar Xen-ning, Ihr habt Euer Leben lang von Worten gelebt -fortan sollt Ihr Euch davon ernähren. Ihr werdet in eine Einzelzelle gesteckt, und zu jeder Mahlzeit wird man Euch Zettel reichen, auf denen die Wörter ›Fleisch‹ und ›Reis‹ und cha geschrieben stehen. Sie sollen Eure Nahrung darstellen, solange Ihr davon leben könnt. Khan Kubilai hat gesprochen.«
    Beim nächsten und letzten Fall an diesem Vormittag ging es um eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. An sich wäre ein solcher Fall zu geringfügig, um vor den cheng gebracht zu werden, sagte der alte Lin-ngan, hätte es sich nicht um eine Mongolin gehandelt, die Gattin eines mongolischen Khanats-Würdenträgers, eines gewissen Herrn Amursama; aus diesem Grund galt das Verbrechen als schändlicher denn eines, bei dem es nur um die Frau eines Han gegangen wäre. Den Liebhaber habe der rasende Gatte im Augenblick der Entdeckung erstochen, sagte Lin-ngan und wollte damit andeuten, eigentlich sei der Missetäter viel zu schnell und ohne die verdienten Qualen davongekommen. Jetzt wandte sich der Gatte an den cheng mit der Bitte um eine heilsame Strafe für sein ungetreues Eheweib. Der Bitte des gehörnten Ehemanns wurde entsprochen, und ich bin überzeugt, daß er mit dem Entscheid einverstanden war. Linngan dolmetschte:
    »Also spricht Khan Kubilai. Die schuldige Dama Amursama wird dem Liebkoser überantwortet.«
    »Dem Liebkoser?« rief ich lachend. »Ich dachte, von einem solchen habe man sie gerade erlöst?«
    »Liebkoser«, erklärte der alte Mann steif, »so heißt bei uns der Hofhenker.«
    »Den nennen wir in Venedig realistischer Fleischmacher.«
    »In der Han-Sprache ergibt es sich nun einmal, daß der Ausdruck für Leibesfolter -dong-xing -und derjenige für sexuelle Reizung -dong-qing -wie Ihr gerade eben gehört habt, zum Verwechseln ähnlich ausgesprochen werden.«
    »Gèsu!« murmelte ich.
    »Ich möchte fortfahren«, sagte Lin-ngan. »Die Gattin wird dem Liebkoser überantwortet, und zwar in Begleitung ihres Gatten. Im Beisein des Liebkosers und, sofern nötig, mit seiner Hilfe, wird der Gatte mit Zähnen und Fingernägeln den Schließmuskel der Scham herausreißen und sie damit erdrosseln. Khan Kubilai hat gesprochen.«
    Weder mein Vater noch mein Onkel waren imstande, über diesen Urteilsspruch eine Bemerkung zu machen, ich jedoch tat das. Vorlaut spottete ich:
    »Vakh! Das ist doch alles nur für uns bestimmt. Der Khakhan weiß sehr wohl, daß wir hier sind. Infolgedessen fällt er solche ausgefallenen Urteile, um uns zu beeindrucken und zu verwirren. Genauso, wie der

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