Marco Polo der Besessene 2
Ilkhan Kaidu, als er seinem Leibwächter in den Mund spuckte.«
Mein Vater und Lin-ngan sahen mich schräg von der Seite an, doch mein Onkel knurrte: »Frecher Grünschnabel! Glaubst du wirklich, der Khan aller Khane würde sich die Mühe machen, auf irgendeinen Menschen auf Erden Eindruck machen zu wollen? Und das ausgerechnet auf irgendwelche Wichte aus irgendeinem unbedeutenden Land irgendwo weit hinter seinem Herrschaftsbereich?«
Ich erwiderte nichts, machte aber auch kein zerknirschtes Gesicht, denn ich war überzeugt, daß meine abweichende Meinung irgendwann bestätigt werden würde. Das sollte jedoch nie geschehen. Onkel Mafio hatte selbstverständlich recht, und
ich hatte unrecht; ich sollte bald erfahren, wie töricht ich mich im Temperament des Khakhan verschätzt hatte.
Doch in diesem Augenblick leerte der cheng sich. Der zusammengedrängte Haufen der Bittsteller raffte sich auf und verließ ihn schlurfend durch jenes Tor, durch das wir eingetreten waren. Die Richter auf dem Podest verschwanden bis auf den Khakhan durch irgendeine Tür am Ende der Halle. Als niemand mehr zwischen ihm und uns stand bis auf seine Leibwächter, sagte Lin-ngan: »Der Khakhan winkt uns. Laßt uns nähertreten.«
Dem Beispiel des Mathematikers folgend, knieten wir alle nieder, um vor dem Khakhan ko-tou zu machen. Doch ehe wir uns so weit hinabgebeugt hatten, daß wir im Begriff standen, mit der Stirn den Boden zu berühren, gebot er mit dröhnender Stimme: »Erhebt euch! Steht auf! Alte Freunde, willkommen wieder in Kithai!«
Er sprach mongolisch, und ich habe ihn auch hinterher nie eine andere Sprache sprechen hören, so daß ich nicht sagen kann, ob er mit dem Handels-Farsi oder irgendeiner der vielen anderen Sprachen in seinem Reiche vertraut war; auch habe ich es nie erlebt, daß jemand ihn in einer anderen Sprache als in seiner Muttersprache angesprochen hätte. Er schloß auch meinen Vater und meinen Onkel nicht in die Arme, wie Freunde in Venedig es getan hätten, sondern klopfte einem jeden von ihnen mit großer, schwer beringter Hand auf die Schulter.
»Es freut mich, euch wiederzusehen, Gebrüder Polo. Wie ist euch die Reise bekommen, uu? Ist das der erste meiner Priester, uu? Wie jung er für einen weisen Kleriker aussieht!«
»Nein, Sire«, sagte mein Vater. »Das hier ist mein Sohn Marco, gleich uns jetzt ein erfahrener Reisender. Wie wir stellt er sich in den Dienst des Khakhan.«
»Dann sei auch er mir willkommen«, sagte Kubilai und nickte mir freundlich zu. »Aber die Priester, Freund Nicolò -kommen die noch, uu?«
Entschuldigung heischend, nicht aber kriecherisch erklärten mein Vater und mein Onkel, es sei ihnen nicht gelungen, die hundert geforderten Priester -oder überhaupt irgendwelche Geistliche -mitzubringen; sie hätten nun mal das Pech gehabt, gerade während eines päpstlichen Interregnums sowie der damit verbundenen Unsicherheit innerhalb der kirchlichen Hierarchie nach Hause zurückzukommen. (Die beiden hasenherzigen Predigermönche, die nicht weiter gekommen waren als bis in die Levante, erwähnten sie nicht.) Während sie all dies erklärten, nahm ich die Gelegenheit wahr, mir den mächtigsten Alleinherrscher auf dem ganzen Erdenrund genauer anzusehen.
Der Khan aller Khane stand damals kurz vor seinem sechzigsten Geburtstag, also in einem Alter, das man im Abendland für greisenhaft erachten würde. Er jedoch war immer noch ein gesunder, kräftiger Mann. Als Krone trug er einen schlichten moriòn-Helm aus Gold, der wie eine umgedrehte Suppenschale aussah, von der hinten und zu den Seiten Nackenschild und Ohrenschützer herunterhingen. Das Haar, das unter dem Helm hervorquoll, war zwar bereits ergraut, aber noch voll. Kinn- und Schnurrbart, kurz geschnitten, wie die Schiffszimmerleute sie zu tragen pflegen, wies mehr Pfeffer als Salz auf. Für einen Mongolen hatte Kubilai recht runde Augen, die lebhaft und intelligent blitzten. Seine gesunde Gesichtsfarbe war zwar wettergegerbt, aber noch straff, als wäre sein Gesicht aus gut gelagertem Walnußbaumholz geschnitzt. Das einzige Unschöne an seinem Gesicht war die Nase, die nicht nur klein war wie bei allen Mongolen, sondern darüber hinaus auch noch knollig und stark gerötet. Seine Gewänder bestanden aus glänzender Seide, die in Brokatmanier mit Mustern und Figuren übersät waren, und sie bedeckten eine Gestalt, die zwar dicklich, aber nicht schwammig war. An den Füßen trug er weiche Stiefel aus einem ganz besonderen Leder;
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