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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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großer künstlicher, silbergetriebener Baum, an dessen vielen Ästen und Zweigen eine Fülle silbergehämmerter Blätter hing, die sanft in der künstlichen Brise klirrten. Um den Stamm mit der silbernen Borke wanden sich vier goldene Schlangen. Deren Schwanz ringelte sich um die höheren Zweige, und ihre Köpfe schlängelten sich abwärts und verharrten mit aufgerissenem Maul über vier immensen Porzellangefäßen. Diese Gefäße besaßen die Gestalt fantastischer Löwen mit zurückgeworfenem Kopf und gleichfalls weit aufgerissenem Maul. Und es gab noch andere künstliche Tiere im Raum; auf etlichen Tischen -auch auf dem, an dem wir Polo saßen -stand ein lebensgroßer Pfau aus Gold, dessen Schwanzfedern wunderbar mit eingelegtem Glasfluß in vielen Farben ausgeführt waren. Das Geheimnisvolle an diesen Dingen war folgendes. Als Khan Kubilai nach den Getränken rief -und zwar nur, wenn er laut danach rief und nicht, wenn irgend jemand sonst das tat -, vollführten diese verschiedenen Tiere aus kostbarem Metall wahre Wunder. Ich will berichten, was sie taten, obwohl ich mir darüber im klaren bin, daß kaum jemand mir glauben wird.
    »Kumis!« befahl Kubilai laut, woraufhin eine der sich um den silbernen Baumstamm windenden Schlagen plötzlich einen Schwall perlfarbener Flüssigkeit sich in das Maul des darunter stehenden Löwengefäßes ergießen ließ. Ein Diener trug dann das Gefäß an den Tisch des Khakhan und schenkte ihm das Getränk in seinen edelsteinbesetzten Becher sowie in die Trinkbecher der anderen Gäste. Sie nippten und bestätigten, es handelte sich in der Tat um Stutenmilch-kumis, woraufhin alle das Wunder begeistert und beifällig beklatschten und gleich darauf noch ein Wunder geschah. Der goldene Pfau auf dem Tisch -und zwar jeder goldene Pfau im Raum -applaudierte mit, indem er die goldenen Flügel hob und geräuschvoll wieder senkte, seine prachtvollen Schwanzfedern aufstellte und ein Rad schlug.
    »Arkhi!« rief der Khakhan als nächstes, woraufhin die zweite Schlange am Baum das zweite Löwengefäß füllte, ein Diener das Getränk wiederum holte und wir alle fanden, daß es sich um eben jene feinere und aromatischere arkhi genannte Art von kumis handelte. Wieder klatschen wir Beifall, und desgleichen taten die Pfauen. Und wohlgemerkt -diese zum Leben erweckten Tiere -, die getränkespeienden Schlangen und die begeisterten Pfauen funktionierten ohne menschliche Hilfe. Ich ging mehrere Male ganz nahe heran, um sie zu beobachten, sowohl als sie in Tätigkeit waren als auch im Ruhezustand, konnte aber weder Drähte noch Schnüre, noch Hebel feststellen, die man aus der Ferne hätte betätigen können.
    »Mao-tai!« befahl der Khakhan als nächstes, woraufhin sich das Ganze wiederholte, von der getränkespendenden Schlange bis zum radschlagenden und Beifall klatschenden Pfau. Das von der dritten Schlange gespendete Getränk -mao-tai-war etwas Neues für mich: ein gelbliches, leicht dickflüssiges Getränk mit einem prickelnden Aroma. Der Mongole neben mir warnte mich, es sei sehr stark, und demonstrierte mir das. Er nahm eine winzige Porzellanschale voll und hielt es an eine der Kerzen, die auf dem Tisch brannten. Mit züngelnder blauer Flamme fing das mao-tai Feuer und brannte wie Naphtalin gute fünf Minuten hindurch, ehe es aufgezehrt war. Soviel ich weiß, ist dieser maotai ein Han-Gebräu, das irgendwie aus ganz gewöhnlicher Hirse gepreßt wird; gleichwohl ist es ein sehr ungewöhnliches Getränk
    - für Magen und Hirn so gefährlich wie für die offene Flamme. »Pu-tao!« lautete der vierte Befehl des Khakhan an den Schlangenbaum; das Wort pu-tao bedeutet Traubenwein. Doch zur Verblüffung von uns Gästen geschah überhaupt nichts. Die vierte Schlange hing einfach da und blieb verstockt trocken, während wir gebannt und geradezu angstvoll hinschauten und überlegten, was falsch gelaufen sein könnte. Dem Khakhan jedoch blitzte der Schalk aus den Augen, er rieb sich insgeheim die Hände und genoß die Spannung -bis er sich herabließ, die letzte und mysteriöseste Magie des Apparats vorzuführen. Erst als er »Pu-tao!« rief und noch entweder »hong!« oder »bai!« hinzufügte, schoß der Strahl auch aus der vierten Schlange heraus und spendete, wie Ku-bilai wollte, ent weder roten (hong) oder weißen (bai) Wein, so daß wir Gäste in einen Sturm der Begeisterung ausbrachen und die goldenen Pfauen mit den Flügeln und das Rad mit einer solchen Wucht schlugen, daß goldene Federflocken

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