Marco Polo der Besessene 2
heruntergaukelten. Zu den Bankettgästen an diesem Abend gehörten mit
Ausnahme der willkommen geheißenen Besucher die höchsten Herren, Minister und Höflinge des Khanats sowie einige Frauen, von denen ich annahm, es müßten ihre Gattinnen sein. Die Herren bildeten ein buntes Gemisch von Völkern und Hautfarben; Araber und Perser gehörten genauso dazu wie Mongolen und Han. Doch bei den Frauen handelte es sich selbstverständlich um die Gattinnen der nichtmuslimischen Mongolen und Han. Sofern Araber und Perser Frauen hatten, war es ihnen nicht gestattet, gemeinsam mit Männern zu speisen. Alle Männer waren in Seidenbrokate gekleidet, wobei einige Gewänder trugen wie der Khakhan und die anderen Mongolen und die heimischen Han, während andere ihre Seidenstoffe in Form persischer pai-jamahs und tulbands trugen, die anderen hingegen aba und kaffiyah der Araber.
Die Frauen waren unendlich viel prächtiger gewandet. Die Han-Damen hatten sich das ohnehin elfenbeinfarbene Gesicht schneeweiß gepudert und trugen das blauschwarze Haar zu üppigen Schöpfen und Strähnen aufgetürmt, wobei diese mit edelsteinbesetzten Geräten festgesteckt waren, die sie Haar-Gabeln nannten. Die Mongolinnen waren von leicht dunklerer Hautfarbe als die Han, von einem hellen Rehbraun, wobei es mich faszinierte, daß diesen Frauen anders als ihren Nomadenschwestern draußen auf den Ebenen die Haut nicht von Wind und Wetter zu Leder gegerbt war und sie auch nicht so muskulös und korpulent waren wie diese. Ihre Frisuren waren womöglich noch kunstvoller aufgetürmt als die der Han-Damen. Ihr Haar - nicht blauschwarz, sondern eher rötlichschwarz -war mit einem Rahmen verflochten, der links und rechts neumondähnlich ausladend vom Kopf abstand wie ein Schafsgehörn, und von diesen Mondsicheln hingen klirrende Brillanten herab. Wiewohl sie ansonsten das gleiche schlicht fließende Gewand der Han-Damen trugen, hatten sie auf den Schultern merkwürdig hohe versteifte Seidenschleifen, die ihre Schultern flossengleich verlängerten.
An der Tafel des Khakhan saßen Mitglieder seiner engeren Familie. Fünf oder sechs seiner zwölf legitimen Söhne nahmen Plätze zu seiner Rechten ein. Zu seiner Linken saß seine erste und Hauptfrau, die Kha-tun Jamui, sodann seine betagte Mutter, die verwitwete Khatun Sor-ghaktani, dann seine drei anderen Frauen. (Kubilai hatte auch noch eine beträchtliche und ständig wechselnde Anzahl von Kebsweibern, alle jünger als seine Ehefrauen. Diejenigen, die ihm augenblicklich zu Diensten waren, saßen an einem Tisch für sich. Von diesen Konkubinen hatte Kubilai weitere fünfundzwanzig Söhne - und Gott weiß wie viele legitime und illegitime Töchter von allen seinen Frauen.)
Der gesamte Eßbereich war dergestalt aufgeteilt, daß die männlichen Gäste die Tische zu Kubilais Rechten und die weiblichen die zu seiner Linken besetzten. Nächst der Tafel des Khakhan -so nahe, daß man sich mühelos unterhalten konnte stand der Tisch, der uns Polo zugewiesen worden war und an dem außer uns noch ein mongolischer Würdenträger saß, sich mit uns zu unterhalten, falls nötig den Dolmetsch zu spielen, uns die unbekannten Gerichte und Getränke zu erklären und so fort. Dabei handelte es sich um einen noch recht jungen Mann genau zehn Jahre älter als ich, wie sich später herausstellte -, der sich als Chingkim vorstellte und erklärte, er bekleide das Amt des Wang von Khanbalik; mit anderen Worten war er der Oberste Beamte der Stadt oder Magistrat. Da dieses Amt etwa mit dem eines Bürgermeisters oder bei uns in Venedig mit dem des podestà vergleichbar ist, schloß ich, daß uns Polo nur ein Würdenträger von vergleichsweise niedrigem Rang als Tischgenosse zugeteilt worden war.
Anderen Herren und Ministern, die an den Tischen in seiner Nähe saßen, stellte der Khakhan uns Polo weit förmlicher vor. Ich will nicht versuchen, sie alle aufzuzählen, denn dazu gehörten eine ganze Menge von Personen mit so unterschiedlichen Titeln und Befugnissen, wie ich sie an anderen Höfen noch nie gehört hatte, wie etwa der Meister der Schwarzen Tintenkunst (nichts anderes als der Hofpoet), der Meister der Hunde, Falken und chitas (also der Oberhofjäger), der Meister der Knochenlosen Farben (der Hofmaler), der Vorsteher der Sekretäre und Schreiber, der Archivar des Unfaßlichen und Wunderbaren und der Bewahrer Absonderlicher Dinge. Erwähnen möchte ich allerdings namentlich einige Herren, die für meine Begriffe so gar nicht an
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