Marco Polo der Besessene 2
haben also tausend beschriftete und zusammengefaltete kleine Zettel. Jedesmal, wenn ein Mann oder eine Frau zum Tod der Tausend verurteilt wird, lasse ich meine Gehilfen, ehe ich mich dem Objekt zuwende, diese Papierstückchen in dem Korb neu mischen, durcheinanderbringen und aufschütteln. Ich halte das so vornehmlich deshalb, um die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung beim Liebkosen soweit als möglich
auszuschließen, denn selbige könnte sich als für das Objekt unnötig beunruhigend und für mich als langweilig erweisen.«
So pingelig, wie er mit Zahlen umgeht, wie er das Opfer ein Objekt nennt und wie herablassend er mein Interesse an der ganzen Angelegenheit behandelt, ist er wirklich eine Schreiberseele, dachte ich. Freilich war ich nicht so dumm, das laut zu sagen. Ich meinte vielmehr im Ton größter Hochachtung:
»Verzeiht, Meister Ping. Aber was hat all dies -das Schreiben und Zusammenfalten und Durcheinanderschütteln -mit dem Tod zu tun?«
»Mit dem Tod? Mit dem Sterben hat es zu tun!« sagte er geradezu empört, als hätte ich von etwas Nebensächlichem gesprochen. Mit einem listigen Seitenblick auf Prinz Chingkim sagte er: »Ein Objekt umbringen kann jeder tumbe Barbar. Doch einen Mann oder eine Frau nach allen Regeln der Kunst durchs Sterben führen und geleiten, es locken und ihm gut zureden - ah, dazu bedarf es des Liebkosers!«
»Ich verstehe«, sagte ich. »Bitte, fahrt fort.«
»Nachdem ihm ein Abführmittel und ein Klistier verabreicht worden ist, um peinliche Zwischenfälle zu vermeiden, wird das Objekt fest, aber nicht unbequem aufrecht zwischen zwei Pfählen festgebunden, damit ich es, je nachdem, mühelos vorn oder hinten oder an der Seite liebkosen kann. Meine Arbeitsplatte ist in dreihundertundsechsunddreißig Fächer aufgeteilt, und jedes Fach ist säuberlich mit dem betreffenden Körperteil beschriftet; in jedem ruht ein Instrument oder mehrere eigens für diesen einen Zweck ersonnene Instrument. Je nachdem, ob es sich bei dem betreffenden Körperteil um Fleisch oder Sehnen, Muskeln oder Haut, reines Gewebe oder Knorpel handelt, sind die betreffenden Instrumente entweder Messer von bestimmter Form, Pfriemen, Sonden, Nadeln, Zangen oder Schaber. Die Instrumente sind frisch gereinigt und poliert, und meine Gehilfen stehen mit Tupfern und Abfallschalen bereit. Ich selbst bereite mich mit den traditionellen Versenkungsübungen des Liebkosers auf meine Aufgabe vor. Damit stelle ich mich nicht nur auf die Ängste des Objekts ein, die für gewöhnlich auf der Hand liegen, sondern auch auf seine tiefsten Befürchtungen und seine geheimsten Reaktionen. Der ideale Liebkoser, der seine Kunst wirklich versteht, ist ein Mann, der fast die gleichen Gefühle hat wie das Objekt. Der Legende zufolge war der vollkommenste aller Liebkoser eine Frau, die sich so sehr auf das Objekt einstellte, daß sie selbst aufschrie, sich wand und zusammen mit dem Objekt weinte, ja, sich selbst um Erbarmen anflehte.«
»Da wir von Frauen sprechen…«, sagte Nasenloch. Bis jetzt hatte er sich nahezu unsichtbar hinter meinem Rücken herumgedrückt. Doch seine stets wollüstig wache Neugier muß stärker gewesen sein als seine Furchtsamkeit. Er wandte sich in Farsi an den Prinzen: »Frauen und Männer unterscheiden sich, Prinz Chingkim. Ihr wißt… im Körperbau… hier und da. Wie trägt Meister Liebkoser derlei Unterschieden mit seinen Instrumenten Rechnung?«
Der Liebkoser trat einen Schritt zurück und sagte mit gezierter Stimme wie angewidert: » Wer… ist… das?«, nicht anders, als wäre er auf der Straße auf einen Haufen Hundedreck getreten und als hätte dieser die Stirn besessen, laut zu protestieren.
»Verzeiht die Unverfrorenheit des Sklaven, Meister Ping«, sagte Chingkim glatt. »Doch die Frage hat sich auch mir gestellt.« Er wiederholte sie auf mongolisch.
Schreiberling, der er war, rümpfte der Henker die Nase. »In Hinblick auf das Liebkosen sind die Unterschiede zwischen Mann und Frau nur oberflächlich. Steht auf dem Zettel etwa ›Rotes Kleinod‹, bedeutet dies das am weitesten vorstehende Geschlechtsorgan, und davon gibt es ein großes beim Manne und ein winziges bei der Frau. Steht auf dem Papier ›Jade-Drüse‹, links oder rechts, bedeutet das entweder den Hoden des Mannes oder die innere Keimdrüse der Frau. Steht ›Tiefes Tal‹ darauf, bedeutet das zwar buchstäblich den Schoß der Frau, kann aber beim Manne auch als innere Mandeldrüse gedeutet werden, der sogenannte Dritte
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