Marco Polo der Besessene 2
zu den geschäftigen Männern zählen, die nichts tun. Vakh!«
Doch damit hatte er selbstverständlich absolut unrecht.
Ich war zwar kein Fachmann auf dem Gebiete der Monarchen, hatte mir jedoch seit meiner Lektüre des Alexanderbuches den großen Eroberer zum Ideal erkoren, wie ein Herrscher sein sollte. Und hatte mittlerweile eine ganze Reihe von richtigen, lebendigen und auch wirklich regierenden Herrschern kennengelernt und mir eine Meinung über sie gebildet: Edward, jetzt König von England, der in meinen Augen nur ein guter Soldat gewesen war, der pflichtschuldigst den Prinzen gespielt hatte; den elenden armenischen Regenten Hampig; den persischen Shah Zaman, ein in königliche Roben gewandeter, unter dem Pantoffel stehender Geck; und der Ilkhan Kaidu, der nicht einmal vorgab, etwas anderes zu sein als ein barbarischer Kriegsherr. Einzig dieser Herrscher, den ich erst vor kurzem kennengelernt hatte, der Khakhan Kubilai, kam dem Ideal in meiner Vorstellung einigermaßen nahe.
Er war nicht schön, so wie Alexander in den Buchmalereien dargestellt war, und auch nicht so jung wie dieser. Der Khakhan war fast doppelt so alt wie Alexander bei seinem Tode; gleichzeitig aber herrschte er über ein Reich, das dreimal so groß war wie das von Alexander eroberte. Sonst aber kam Kubilai meinem klassischen Ideal ziemlich nahe. Dabei hatte ich frühzeitig gelernt, vor Ehrfurcht und Angst zu erstarren, wo es um seine Tyrannenmacht und seine Neigung ging, jähe, durchgreifende, ungerechtfertigte und unwiderrufliche Urteile und Entscheidungen zu fällen. (Ein jedes seiner Dekrete endete folgendermaßen: »Also spricht der Khakhan: zittert, alle Menschen, und gehorcht!«) Wobei man zugeben muß, daß eine derart grenzenlose Macht und ihre leidenschaftliche Ausübung schließlich etwas sind, worauf man bei einem Alleinherrscher gefaßt sein muß. Auch bei Alexander hatte man sie beobachten können.
In späteren Jahren hat man mich einen »Lügner« genannt, der »sich in Positur setzt«; man hat einfach nicht glauben wollen, daß ein so unbedeutender Mann wie Marco Polo anders als nur entfernt mit dem mächtigsten Mann auf Erden hat bekannt sein können. Andere haben mich einen »sklavischen Speichellecker« genannt und mich als Apologeten eines Despoten geschmäht.
Ich begreife, daß es schwerfällt zu glauben, der hochmächtige Khan Aller Khane habe seine Aufmerksamkeit, wenn auch nur flüchtig, einem niederen Außenseiter wie mir zuteil werden lassen -von seiner Zuneigung und seinem Vertrauen ganz zu schweigen. Tatsache jedoch ist, daß der Khakhan so himmelweit über allen Menschen stand, daß in seinen Augen Fürsten und Edelleute und Bürgerliche, ja, vielleicht sogar Sklaven auf der gleichen Ebene ununterscheidbarer Merkmale rangierten. Daß er von mir Notiz nahm, war nicht bemerkenswerter, als daß er sich mit seinen engsten Ministern abgab. Und bedenkt man die schlichte und ferne Herkunft der Mongolen, war Kubilai in der exotischen Umgebung Kithais genauso sehr ein Außenseiter wie ich.
Was die Speichelleckerei betrifft, die man mir unterstellt, so stimmt es, daß ich persönlich nie unter seinen Launen und Einfallen zu leiden hatte. Es stimmt, daß ich ihm ans Herz wuchs, er mir Verantwortung übertrug und mich zu einem engen Vertrauten machte. Doch nicht aus diesem Grunde verteidige und preise ich den Khakhan auch heute noch. Gerade weil ich ihm so nahe war, konnte ich besser als mancher andere erkennen, daß er seine ungeheure Autorität so weise ausübte, wie es ihm möglich war. Selbst wenn er es despotisch tat, war das für ihn immer noch Mittel zu einem Zweck, den er für richtig und nicht nur für momentan nützlich erachtete. Im Gegensatz zu der von meinem Onkel Mafìo vertretenen Philosophie war Kubilai so böse, wie er sein mußte, und so gut, wie er konnte.
Der Khakhan war von ganzen Schichten und Kreisen und Hüllen von Ministern und Ratgebern und anderen Beamten umgeben, ließ jedoch nie zu, daß sie ihn in seinem Reich isolierten und von seinen Untertanen oder dem Bemühen trennten, den Einzelheiten des Regierens seine ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Wie ich es im cheng erlebt hatte, konnte Kubilai sehr wohl Unwichtigeres an andere delegieren; doch wo es wichtig war, hatte er stets das letzte Wort. Ich könnte ihn und seinen Hof der Flotte von Wasserfahrzeugen vergleichen, wie ich sie zum ersten Mal auf dem Gelben Fluß erblickte. Die ihn umgebenden Minister waren die san-pan-Lastkähne, die Fracht
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