Marionetten
aktenkundig als islamistischer Aktivist. Abgeschoben wird er von den Schweden, nicht von den Deutschen.«
»Aber bei den Schweden geht es doch vergleichsweise human zu, soweit ich weiß?«
»Ja. Tut es. Ganz besonders, wenn es sich um illegale Einwanderer handelt. Und für die Schweden ist er ein illegaler Einwanderer und flüchtiger Terrorist, basta. Wenn die Türken ihn zurückhaben wollen, damit er seine Reststrafe verbüßt – è plus ein paar Jahre extra, weil er sich aus dem Gefängnis freigekauft hat –, dann werden die Schweden ihn an die Türken ausliefern und sich einen Dreck um ihn scheren. Gut, es gibt eine Chance von eins zu tausend, daß irgendein schwedischer Heiliger einschreitet, aber ich gebe nicht viel auf Heilige. Wenn die Türken sich an ihm ausgetobt haben, reichen sie ihn weiter an die Russen, damit die ebenfalls ihr Mütchen an ihm kühlen können. Kann natürlich auch sein, daß die Türken keine Lust mehr auf ihn haben, dann schicken ihn die Schweden direkt nach Rußland. So oder so, er wandert wieder ins Gefängnis, er wird wieder gefoltert. Sie haben ihn gesehen. Was meinen Sie, wieviel er noch aushält? Hören Sie mir überhaupt zu? Ich kann es Ihnen nicht ansehen. Ich kann Ihre Miene nicht deuten.«
Er konnte es selber nicht. Er wußte nicht, was für eine Miene angemessen gewesen wäre oder was für Gefühle er hätte hineinlegen sollen.
»Aber es gibt doch sicher hinreichende Gründe für ein einfaches Gnadengesuch«, wandte er lahm ein, als sie nicht aufhörte, ihn anzustarren.
»Letztes Jahr hatte ich einen Mandanten, der Magomed hieß. Ein dreiundzwanzigjähriger Tschetschene, der von den Russen gefoltert worden war. Nichts Persönliches, nichts wissenschaftlich Ausgeklügeltes, bloß jede Menge Prügel. Aber er war ein sanftes Kerlchen, ein bißchen verrückt, wie Issa. Die Prügel bekamen ihm nicht. Vielleicht hatte er eine Tracht zuviel eingesteckt. Wir haben einen Asylantrag gestellt, alles auf die humanitäre Karte gesetzt. Magomed ist gern in den Tierpark gegangen. Weil ich mir Sorgen um ihn gemacht habe, hat Fluchthafen tief in die Tasche gegriffen und einen Topanwalt engagiert. Der fand, wir hätten die Duldung aus humanitären Gründen so gut wie sicher, und hat ansonsten Däumchen gedreht. Theoretisch ist es in Deutschland streng gesetzlich geregelt, wohin ein Mensch nicht abgeschoben werden darf. Während wir auf das Urteil warteten, wollten wir noch einen Ausflug in den Tierpark machen. Magomed hatte nicht Issas Hintergrund. Er war kein Militanter, kein mutmaßlicher Islamist. Er stand nicht auf der Fahndungsliste von Interpol. Um fünf Uhr morgens haben sie ihn aus seinem Bett im Wohnheim gezerrt und ihn in eine Maschine nach Sankt Petersburg gesteckt. Sie mußten ihn knebeln. Seine Schreie waren das letzte, was wir von ihm gehört haben.« Wieder stieg ihr eine Röte ins Gesicht, die er sich nicht ganz erklären konnte, und sie holte Luft.
»Während meines Jurastudiums haben wir oft darüber diskutiert, was wichtiger ist, das Gesetz oder das Leben«, sagte sie. »Das ist eine traurige Wahrheit unserer deutschen Geschichte: Gesetze, die das Leben nicht schützen, sondern sich daran vergehen. Die Juden haben das zu spüren bekommen. Die moderne amerikanische Spielart erlaubt Folter und staatlich angeordnete Entführungen. Und es ist ansteckend. Ihr Land ist dagegen genausowenig immun wie meines. Das ist nicht das Gesetz, dem ich diene. Ich diene Issa Karpow. Er ist mein Mandant. Wenn Sie das in Verlegenheit bringt, tut es mir nicht leid.«
Aber sie selbst schien es verlegen zu machen, denn ihre Wangen glühten inzwischen richtiggehend.
»Inwieweit ist sich Ihr Mandant seiner Situation bewußt?« fragte Brue nach einer längeren Pause.
»Als seine Anwältin mußte ich sie ihm erklären, und das habe ich getan.«
»Wie hat er reagiert?«
»Was für uns eine schlechte Nachricht ist, muß für ihn nicht unbedingt auch eine sein. Er hat aufmerksam zugehört, aber er ist fest davon überzeugt, daß Sie schon eine Lösung finden werden. Das Haus wird übrigens beobachtet, falls Ihnen das entgangen sein sollte. Diese Polizeibeamten mit ihrem Höflichkeitsbesuch bei Leyla vorhin – von wegen Vertrauensbildung!«
»Ich dachte, Sie kennen sie.«
»Jeder bei Fluchthafen kennt sie. Es sind Schnüffler.«
Um sich ihrem Blick zu entziehen und Bedenkzeit zu gewinnen, drehte Brue eine seiner Runden durchs Zimmer.
»Ich habe eine Frage an Ihren Mandanten«, sagte er
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