Marionetten
überschüttet wie die bärtigen russischen Emigranten damals am Montparnasse, jeder einzelne von ihnen ein Genie.
Issa ist derjenige, der nachts durch Eppendorf irren sollte, nicht ich.
5
Günther Bachmann war zuerst verärgert, dann alarmiert, am Sonntagmittag zu Herrn Arnold Mohr zitiert zu werden, dem fülligen Chef der Hamburger Verfassungsschützer, der doch als der vorbildliche Christ, der er war, um diese Zeit eigentlich mit seinen Lieben in der ersten Reihe einer der besten Kirchen der Stadt hätte sitzen müssen. Bachmann hatte die ganze Nacht das Hintergrundmaterial über tschetschenische Dschihadisten durchgeackert, das ihm Erna Frey noch herausgesucht hatte, ehe sie in einem raren Anfall von Extravaganz zu einer Stippvisite in Hannover aufgebrochen war, wo ihre Nichte Hochzeit feierte. Nach der Lektüre hatte er mit einem kleinen Besuch in Kopenhagen geliebäugelt, auf ein paar Bierchen mit seinen Kumpels vom dänischen Geheimdienst – und, wenn sie ihn ließen, ein paar Worte mit dem guten Bruder Fernfahrer, der Issa nach Hamburg geschmuggelt und ihm seinen Mantel vermacht hatte. Er hatte sogar schon seinen Kontaktmann da oben angerufen: Kein Problem, Günther, wir schicken dir einen Wagen zum Flughafen.
Statt dessen stapfte er nun nervös in seinem Büro im Pferdestall auf und ab, während Erna Frey, noch im Hochzeitsstaat, adrett an ihrem Schreibtisch saß und an der monatlichen Kostenabrechnung für Berlin tüftelte.
»Keller ist da«, informierte sie ihn, ohne den Kopf zu heben.
»Keller ? Was für ein Keller?« gab Bachmann gereizt zurück. »Hans Keller aus Moskau? Paul Keller aus Amman?«
»Unser oberster Verfassungsschützer, Dr. Otto Keller aus Köln, vor einer Stunde gelandet. Guck mal aus dem Fenster, dann kannst du seinen Hubschrauber bewundern, der uns den ganzen Parkplatz zustellt.«
Bachmann tat wie ihm geheißen und gab einen angewiderten Laut von sich. »Und was will Onkel Otto diesmal von uns? Sind wir bei Rot über die Ampel gefahren? Haben wir seine Mutter verwanzt?«
»Die Besprechung ist streng geheim, operativ und furchtbar dringend«, antwortete Erna Frey, die ruhig weiterarbeitete. »Mehr konnte ich aus denen von gegenüber nicht rauskitzeln.«
Bachmann wurde es flau im Magen. »Heißt das, sie haben meinen Großen gefunden?«
»Falls du mit deinem Großen Issa Karpow meinst, geht das Gerücht um, daß sie ganz dicht an ihm dran sind.«
Bachmann faßte sich an die Stirn. »Sie haben ihn doch nicht etwa festgenommen? Arni hat mir geschworen, daß die Polizei nicht ohne Rücksprache mit uns zugreift. Dein Fall, Günther. Dein Fall, alter Freund, aber wir sprechen uns ab. Das war der Deal.« Ein noch üblerer Gedanke kam ihm: »Sag nicht, die Polizei hat ihn verhaftet, nur um Arni zu zeigen, wer hier der Boß ist!«
Erna Frey blieb die Ruhe selbst. »Mein Deep Throat – eine miserable Tennisspielerin aus Arnis extrem inkompetenter Spionageabwehrabteilung – versichert mir, daß der Verfassungsschutz dicht an ihm dran ist. Darin erschöpft sich der Inhalt ihrer Nachricht aber auch schon. Sie wird mir nie verzeihen, daß ich sie seinerzeit in zwei glatten Sätzen sechs – null geschlagen habe, deshalb rächt sie sich mit Kantinenklatsch. Von dem sie mir dann sagt, ich darf ihn dir auf keinen Fall weitersagen, was ich natürlich prompt tue.« Unter Bachmanns forschendem Blick wandte sie sich wieder ihren Berechnungen zu.
»Warum so biestig heute morgen?« fragte er. »Das ist doch sonst meine Aufgabe.«
»Ich hasse Hochzeiten. Eine Hochzeit ist etwas Widernatürliches und Herabsetzendes. Jedesmal, wenn ich an einer teilnehme, sehe ich eine gute Frau, die auf den Hund gekommen ist.«
»Und was ist mit dem armen Tropf von einem Bräutigam?«
»Für mich ist der arme Tropf von einem Bräutigam der Hund, auf den sie gekommen ist. Keller will, daß bei dem Treffen nur die Bosse anwesend sind. Du, Mohr, Keller.«
»Keiner von der Polizei?«
»Nicht daß ich wüßte.«
Beruhigt sah Bachmann noch einmal auf den Hof hinaus. »Also zwei gegen einen. Die Verfassungsschützer in ihrer schimmernden Rüstung gegen ein exkommuniziertes schwarzes Schaf.«
»Immerhin kämpft ihr ja alle gegen denselben Feind«, konterte Erna Frey spitz. »Einander.«
Ihr Zynismus schockierte ihn; er war dem seinen so ähnlich.
»Und du kommst mit«, entgegnete er.
»So eine Schnapsidee. Ich kann Keller nicht ausstehen. Keller kann mich nicht ausstehen. Ich wäre nur lästig, und den Mund
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