Marionetten
halten kann ich auch nicht.«
Aber unter seinem unbeeindruckten Blick fuhr sie bereits den Computer herunter.
* * *
Bachmann hatte allen Grund zur Sorge. Aus Berlin kamen Gerüchte en masse, manche abenteuerlich, andere erschreckend plausibel. Soviel jedenfalls stand fest: die alten Grenzen zwischen den rivalisierenden Diensten schwanden tatsächlich, und in der Koordinierungszentrale, die als Beratergremium der fähigsten Köpfe konzipiert worden war, herrschte erbitterte Uneinigkeit. Die Dauerfehde zwischen denen, die die Bürgerrechte unter allen Umständen verteidigen wollten, und denen, die entschlossen waren, sie im Namen der nationalen Sicherheit zu beschneiden, drohte zu eskalieren.
In der linken Ecke – falls denn solche antiquierten Unterscheidungen überhaupt noch galten – waltete der weltgewandte Michael Axelrod vom Bundesnachrichtendienst, passionierter Europäer, Arabist und – mit Vorbehalten – Bachmanns Mentor; während in der rechten Ecke der erzkonservative Dieter Burgdorf aus dem Innenministerium regierte, Axelrods Rivale im Wettrennen um den Posten des Geheimdienstzaren, wenn erst das Fundament für die Neustrukturierung gelegt war: Burgdorf, der bekennende Freund der Neokonservativen in Washington und in der deutschen Geheimdienstlandschaft lautstärkster Verfechter einer besseren Vernetzung mit den amerikanischen Diensten.
Ein ungleicheres Paar schien kaum denkbar, doch ausgerechnet diese beiden sollten sich für die nächsten drei Monate die Macht gleichberechtigt teilen und sich zum Konsens verpflichten. Und so entzweit wie die beiden Generäle waren auch die von ihnen befehligten Truppen, die sich in einem ständigen Gerangel um echte oder eingebildete Vorteile befanden. Burgdorf kam aus dem Innenministerium, Mohr und Keller arbeiteten für den Inlandsgeheimdienst, also war es logischerweise der feiste und schamlos ehrgeizige Burgdorf, um dessen Gunst sie buhlten; wohingegen der lässig-elegante, aber etwas ältere Axelrod vom Auslandsgeheimdienst kam, weshalb Bachmann, sein Protegé und Kollege, ebenso logisch als sein getreuer Vasall galt. Aber wer hätte sagen wollen, was überhaupt noch logisch war, nachdem die Grenzen zwischen den beiden Diensten immer mehr verschwammen, nachdem das Bundeskriminalamt munter mitmischte und die Berliner Kraftfelder noch nicht endgültig abgesteckt waren?
Die Worte, mit denen Bachmann die Sachlage beschrieben hätte, wären etwas weniger gewählt ausgefallen, als er nun mit Erna Frey über den Hof ging und Arni Mohr sie beide mit wippender Schulbubentolle empfing, die fleischigen Hände ausgestreckt, den flinken Blick jedoch an ihnen vorbei auf die Tür gerichtet für den Fall, daß ihnen noch jemand Wichtigeres folgte:
»Günther, alter Freund! Danke, daß du deinen kostbaren Sonntag für mich opferst. Frau Frey, was für eine nette Überraschung! Und so schick heute! Ich lasse Ihnen gleich noch einen Satz Unterlagen kopieren« – die Stimme aus Sicherheitsgründen gesenkt –, »die Sie uns nach unserer kleinen Besprechung bitte wieder aushändigen. Die Dokumente sind durchnumeriert. Nichts darf das Gebäude verlassen. Nein, nein, nach dir, Günther, ich bitte dich! Ich bin doch hier der Hausherr!«
* * *
Dr. Otto Keller saß, über einen Aktenkarton gebeugt, allein an dem großen Mahagoni-Konferenztisch und ging mit seinen langen weißen Fingern penibel die darin befindlichen Papiere durch. Als die drei hereinkamen, hob er den Kopf, nahm wortlos die ungebetene Erna Frey in ihrem Festtagsgewand zur Kenntnis und las weiter. Ein zweiter Karton stand vor dem Stuhl, der für Bachmann bestimmt war. Auf dem Deckel prangte in schwarzen Lettern das Codewort FELIX, womit klar war, daß, Absprache hin oder her, Issa Karpow inzwischen Mohrs Baby war – von Mohr getauft und bei der Gelegenheit auch gleich noch als allerstrengstens geheim eingestuft. Durch eine Seitentür huschte eine Frau in schwarzem Rock mit einem dritten Karton für Erna Frey herein und gleich wieder hinaus. Schulter an Schulter machten sich Bachmann und Erna Frey unter der Aufsicht von Mohr und Keller an ihre Hausaufgaben.
DRINGENDES ERSUCHEN
den international zur Fahndung ausgeschriebenen Islamisten FELIX und seine Kontaktpersonen einer sofortigen und umfassenden Überprüfung durch die Sicherheitsbehörden auf Landes- und Bundesebene zu unterziehen und gegebenenfalls ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren einzuleiten. Mohr.
Bericht Nr. 1
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