Marionetten
mysteriösen Hausgast zu Gesicht zu bekommen. Mohr hatte gegen sämtliche guten Geheimdienstsitten verstoßen, aber andererseits hatte er von seinem Raubzug fette Beute mitgebracht.
Operation Felix
Bericht Nr. 4, Freitag, 18. April, abends
Gegen 20.40 Uhr verließ Melik Oktay das Haus Heldering 26 … Um 21.10 kehrte Oktay zurück, gefolgt in 15 Metern Abstand von einer kleinen blonden Frau, ca. 25, die einen großen Rucksack unbekannten Inhalts trug – na logisch war der Inhalt unbekannt, dachte Bachmann. Begleitet wurde sie von einem kräftig gebauten Mann zwischen 55 und 65, dunkelhaarig, eventuell deutschstämmig, eventuell Türke oder hellhäutiger Araber. Kurz bevor Oktay ihnen die Haustür aufschloß, verhüllte die blonde Frau auf muslimische Art ihren Kopf. Dann überguerte sie zusammen mit dem älteren Mann die Straße. Beide wurden von Leyla Oktay, der Mutter, begrüßt, die ein gutes Kleid trug.
»Irgendwelche Photos?« knurrte Bachmann.
»Sie waren nicht darauf vorbereitet, Günther! Wie denn auch? Es war ein Zufallstrefferl Zwei müde Frauen, ihre zweite Schicht, zu Fuß, es ist nach neun Uhr, es ist dunkel. Woher sollten sie wissen, daß das ihr großer Abend wird?«
»Also keine Photos.«
Bachmann las weiter:
Fünf Minuten nach Mitternacht verließ der kräftig gebaute Mann ohne Begleitung das Haus Heidering 26 und entfernte sich.
»Habt ihr rausgekriegt, wo er hinwollte?« erkundigte sich Bachmann und warf schon mal einen Blick auf die nächste Seite.
»Der Typ war ein Profi, Günther, ein Spitzenmann!« erklärte Mohr aufgeregt. »Hielt sich die ganze Zeit in kleinen Gassen, ist den gleichen Weg ein paarmal wieder zurückgegangen; wie folgt man so einem nachts um eins durch menschenleere Straßen? Wir hatten sechs Wagen im Einsatz. Es hätten genausogut zwanzig sein können. Er hat sie alle abgeschüttelt!« rief er stolz. »Außerdem wollten wir ihn nicht aufscheuchen, verstehst du? Bei einem Profi, der weiß, wie eine Beschattung aussieht, muß man behutsam vorgehen. Taktvoll.«
Bericht Nr. 4 (Fortsetzung)
02.30 Uhr. Heftiger Wortwechsel im ersten Stock des Hauses Heldering 26. Am lautesten die Stimme von Leyla Oktay. Der exakte Wortlaut war akustisch nicht zu verstehen. Bei den gesprochenen Sprachen handelte es sich um Türkisch, Deutsch und eine weitere, mutmaßlich slawische Sprache. Unbekannte Frauenstimme schaltete sich zeitweilig ein, möglicherweise dolmetschend.
»Das wollen sie gehört haben?« fragte Bachmann, während er weiterlas.
»Ein neues Team in einem Transporter«, sagte Mohr zufrieden. »Von mir persönlich hinbeordert. Für Richtmikros hat die Zeit nicht gereicht, aber soweit haben sie alles mitbekommen.«
Um 04.00 Uhr verließ oben beschriebene unbekannte junge Frau das Haus, wie zuvor mit Kopftuch und Rucksack. Begleitet wurde sie von einem Mann, den unsere Agenten zum erstenmal sahen, Beschreibung wie folgt: fast zwei Meter groß, Scheitelkäppchen, langer dunkler Mantel, Anfang 20, weit ausschreitend, fahrige Bewegungen, hellfarbige Tasche über der Schulter. Haustür wurde hinter Ihnen von Melik Oktay geschlossen. Das Paar entfernte sich zügigen Schrittes und verschwand In einer Seitenstraße.
»Ihr habt sie also verloren«, resümierte Bachmann.
»Nur vorübergehend, Günther! Nur für etwa eine Stunde. Aber wir konnten uns den Ablauf schnell zusammenpuzzeln. Sie sind ein Stück marschiert, dann mit der U-Bahn gefahren, dann ein Stück mit dem Taxi, dann wieder zu Fuß. Typisches Profiverhalten. Genau wie der kräftige Kerl vorher.«
»Und ihre Telefone?«
»Umblättern, Günther. Da ist alles für dich aufgelistet. Handys links, Festnetz rechts. Melik Oktay an Annabel Richter. Annabel Richter an Melik Oktay. Insgesamt neun Anrufe. Annabel Richter an Thomas Brue. Thomas Brue an Annabel Richter. Drei Anrufe, alle am selben Tag. Der Tag war Freitag. Momentan haben wir allerdings nur die getätigten Anrufe, nicht die Gespräche. Möglicherweise können wir von den Gesprächen im nachhinein noch ein paar retten. Wenn Dr. Keller grünes Licht gibt, fragen wir morgen mal bei den Kollegen von der technischen Aufklärung an. Alles strikt im legalen Rahmen, versteht sich. Aber was war in den Taschen, frage ich mich. Was war in den Taschen, Frau Frey? Was haben die beiden Verdächtigen aus dem sicheren Haus der Oktays abgeholt, wohin haben sie es mitten in der Nacht gebracht und zu welchem Zweck?«
»Richter?« fragte Bachmann und sah von den Berichten
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