Marionetten
Zwang«, sagte Erna Frey mit grollender Stimme.
»Wollen Sie behaupten, das sei alles einfach erfunden, Frau Frey?« fragte Mohr zornig. »Ist Ihnen nicht bewußt, daß wir auf dem Gebiet der Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung ganz hervorragend mit den russischen Behörden zusammenarbeiten?«
Als keine Antwort kam, las er weiter.
»›2005 wurde der Kriminelle FELIX, nun mit gefälschten Personaldokumenten auf den Namen Nogerow ausgestattet, von Beamten des Sicherheitsdienstes im Zusammenhang mit der Sabotage einer Gaspipeline in der Umgebung von Bugulma in der Russischen Republik Tatarstan festgenommen. Durch das sofortige Handeln der Organe vor Ort konnte eine Gruppe asozialer Dissidenten aufgespürt werden, die unter verwahrlosten Bedingungen in einer abgelegenen Scheune in Tatortnähe hausten.«‹
»Die Pipeline war alt und morsch, wie alle Pipelines in Rußland«, erklärte Erna Frey in einem Ton geradezu übermenschlicher Geduld. »Der Leiter des örtlichen Kraftwerks war Alkoholiker und hatte die Polizei bestochen, damit sie den Zwischenfall als Sabotage einstuft. Die Polizei kassierte die nächstbeste Gruppe muslimischer Aussteiger, die sie finden konnte, und zwang sie, FELIX als Rädelsführer zu denunzieren. Laut Human Rights Watch versteckten die Polizisten unter den Bodenbrettern der Scheune Sprengstoff, entdeckten ihn, trieben die Gruppe zusammen, folterten alle der Reihe nach und ließen die anderen zuschauen. Länger als zwei Tage hat keiner durchgehalten. Sie haben FELIX gefragt, ob er glaubt, daß er einen neuen Rekord aufstellen kann. Er hat es versucht, aber nicht geschafft.«
Bachmann hoffte inständig, sie würde es dabei bewenden lassen, aber ihr gerechter Zorn kannte kein Halten mehr:
»Die Scheune war nicht mal in der Nähe des Explosionsorts, sondern vierzig Kilometer davon entfernt, Herr Mohr. Und die jungen Leute hatten weder Fahrräder noch Geld für eine Busfahrkarte, geschweige denn ein Auto. Es war Ramadan. Als die Polizei kam, haben sie mit selbstgebastelten Schlägern Hockey gespielt, um sich die Zeit zu vertreiben, Herr Mohr.«
* * *
Jetzt übernahm Dr. Otto Keller aus Köln die Gesprächsleitung.
»Dann zweifeln Sie diesen Bericht an, Bachmann?«
»Ja und nein.«
»Inwiefern ja?«
»Andere Leute werden ihn nicht auf die gleiche Weise anzweifeln, wenn überhaupt.«
»Was für Leute?«
»Leute, die entschlossen sind, ihm Glauben zu schenken.«
»Und einen Mittelweg gibt es für Sie nicht? Sie räumen nicht die Möglichkeit ein, daß die Vorwürfe gegen FELIX teilweise berechtigt sind? Daß er zum Beispiel, wie hier behauptet wird, ein Dschihadi sein könnte?«
»Wenn wir ihn benutzen wollen, wäre das um so besser für uns.«
»Und ein eingefleischter Gotteskrieger würde so mir nichts, dir nichts mit uns zusammenarbeiten, denken Sie das, Bachmann? Auf dem Gebiet waren wir bisher noch nicht sehr erfolgreich.«
»Ich meine, er müßte nicht unbedingt mit uns zusammenarbeiten«, antwortete Bachmann gepreßt. »Vielleicht wäre es sogar besser, wenn nicht. Wenn er statt dessen seinen eigenen Weg ginge, aber mit unserer Hilfe.«
»Das ist doch reine Spekulation.«
»So, wie sich FELIX uns bisher darstellt, ergibt nichts an ihm einen Sinn. Sie haben unseren Bericht über den sogenannten Admiral vorliegen, der ihm am Bahnhof geholfen hat. Sie haben den Bericht über den Fernfahrer. FELIX’ Flucht muß ein Vermögen gekostet haben, aber er schläft auf der Straße. Er ist ein Tschetschene, aber kein echter Tschetschene. Wenn er einer wäre, würde er versuchen, andere Tschetschenen ausfindig zu machen. Er ist Muslim, kann aber nicht zwischen einer sunnitischen und einer schiitischen Moschee unterscheiden. An ein und demselben Abend bekommt er Besuch von einer Bürgerrechtsanwältin und einem britischen Bankier. Er wollte unbedingt nach Hamburg. Warum? Er hat eine Mission. Welche?«
Mohr klinkte sich ein. »Eine Mission! Jawohl! Die Mission, zu einer Terroristin und ihrem Sohn Kontakt aufzunehmen, um hier in Hamburg eine dschihadistische Schläferzelle aufzubauen! Er ist ein flüchtiger Terrorist, er schlüpft bei einem türkischen Schläger unter, der unter den Einfluß eines islamistischen Aufwieglers geraten war, sich aber jetzt seinen Bart abrasiert hat und auf westlich macht, er stiehlt sich tiefnachts mit einer deutschen Anwältin aus dem Haus, mit einer Tasche, in der sich weiß Gott was befindet, und einen solchen Mann wollen Sie benutzen, ohne daß er es
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