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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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die ausgefuchstesten. Über dem Durchschnitt. Das änderte nichts an dem Schlamassel, in den Babette geraten war. Aber es würde mein Herz um seinen Schmerz erleichtern.
    Gestern Nachmittag war ich mit dem festen Vorsatz losgegangen, Sonia mit zu mir nach Hause zu nehmen. Wir hätten auf meiner Terrasse gefrühstückt, wären im Meer schwimmen gegangen, und Honorine wäre gekommen und hätte uns Vorschläge für mittags und abends gemacht. Und am Abend hätten wir alle vier zusammen gegessen.
    Eine idyllische Vision. So war ich immer mit der Wirklichkeit umgegangen. Ich hatte versucht, sie auf die Ebene meiner Träume zu heben. In Augenhöhe. Auf menschliche Ebene. Aug in Auge mit dem Glück. Aber die Wirklichkeit war wie Schilf. Sie bog sich, aber sie brach nie. Hinter der Illusion zeichnete sich immer die Gemeinheit der Menschen ab. Und der Tod. Der Tod, der niemanden vergisst.
    Ich hatte nie getötet. Aber heute glaubte ich, es zu können. Töten. Oder sterben. Töten und sterben. Denn Töten ist auch Sterben. Heute hatte ich nichts mehr zu verlieren. Ich hatte Lole verloren. Ich hatte Sonia verloren. Zwei Glückseligkeiten. Die eine erlebt. Die andere erahnt. Das Gleiche. Alle Lieben gehen den gleichen Weg und erfinden ihn neu. Lole war es gelungen, unsere Liebe in einer neuen Liebe wieder zu entdecken. Ich hätte Lole mit Sonia wieder entdecken können. Vielleicht.
    Mir war alles gleichgültig.
    Mir fiel ein Gedicht von Cesare Pavese ein: Der Tod wird kommen, und er wird deine Augen haben.
    Die Augen der Liebe.
    Es wird sein wie das Aufgeben eines Lasters,
    als erschiene im Spiegel
    ein totes Gesicht,
    als lauschte man geschlossenen Lippen.
    Stumm werden wir in den Abgrund steigen.
    Fonfon und Honorine würden es mir natürlich nicht verzeihen, dass ich starb. Aber sie würden mich alle beide überleben. Sie hatten die Liebe erlebt. Zärtlichkeit. Treue. Sie lebten davon und würden es weiter tun. Sie waren keine Versager. Ich ... »Letztendlich«, sagte ich mir, »ist der einzige Weg, seinem Tod einen Sinn zu geben, allem Vorhergegangenen eine gewisse Dankbarkeit entgegenzubringen.«
    Und Dankbarkeit hatte ich mehr als genug.
    »Montale.«
    Ihre Stimme war jetzt sanft.
    »Montale. Das war ein Profi, der Sonia umgebracht hat.«
    Hélène Pessayre kam langsam, aber sicher auf den Punkt.
    »Ihr Tod trägt eine Unterschrift. Nur die Mafia schlitzt den Leuten so die Kehle auf. Von rechts nach links.«
    »Was verstehen Sie denn davon?«, fragte ich lahm.
    Die Rotbarben kamen und brachten wieder echtes Leben auf unseren Tisch.
    »Hervorragend«, sagte sie, nachdem sie einen ersten Bissen gekostet hatte. »Ich weiß es. Ich habe meine Diplomarbeit in Jura über die Mafia geschrieben. Das lässt mich nicht los.«
    Babettes Name lag mir auf der Zunge. Auch sie war regelrecht besessen von der Mafia. Ich hätte Hélène Pessayre fragen können, woher dieser Zwang kam. Versuchen können, zu verstehen, warum sie ihre Jugend darauf verwandt hatte, die Maschinerie der Mafia auseinander zu nehmen. Und auch, warum Babette sich so weit in diese Maschinerie verstrickt hatte, dass jetzt ihr Leben auf dem Spiel stand. Ihres und das vieler anderer. Ich tat es nicht. Was ich erriet, füllte mich mit Entsetzen. Die Faszination des Todes. Des Ver - brechens. Des organisierten Verbrechens. Ich zog es vor, mich auf - zuregen.
    »Wer sind Sie eigentlich? Woher kommen Sie? Wohin, glauben Sie, führen Sie Ihre Fragen, Ihre Hypothesen? Na? Aufs Abstellgleis, wie Loubet?«
    Blinde Wut stieg in mir hoch. Wie sie mich immer packte, wenn ich über dieses Jammertal von Welt nachdachte.
    »Wissen Sie nichts Besseres mit Ihrem Leben anzufangen! Als in der Scheiße zu rühren? Sich die schönen Augen über blutigen Leichen zu verderben? Hm? Haben Sie keinen Mann, der Sie zu Hause festhält? Keine Kinder großzuziehen? Ist das Ihr Leben, zu erkennen, dass diese Kehle von der Mafia aufgeschlitzt wurde und jene von einem sexuellen Triebtäter? Na, ist das Ihr Leben?«
    »Ja, das ist mein Leben. Und nichts anderes.«
    Sie legte ihre Hand auf meine. Als sei ich ihr Liebhaber. Als würde sie gleich sagen: »Ich liebe dich.«
    Nein, ich konnte ihr nicht sagen, was ich wusste, noch nicht. Erst musste ich Babette finden. Das wars. Das machte ich mir zur Auflage, wie einen Aufschub der Wahrheit. Ich würde Babette finden, wir würden reden, und dann würde ich Hélène Pessayre die ganze Geschichte beichten, vorher nicht. Nein, vorher würde ich den Typ

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