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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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allein.
    »Manchmal bin ich nachts aufgewacht und habe Pascale stundenlang in dem Licht, das durch die Fensterläden drang, im Schlaf beobachtet, verstehst du. Oft lag sie auf der Seite, mit dem Gesicht zu mir, eine Hand unter der Wange. Und ich dachte: › Sie ist schöner als zuvor. Sanfter. ‹ Es machte mich glücklich, ihr Gesicht so bei Nacht zu betrachten, Fabio.«
    Auch mich erfüllte der Anblick von Loles Gesicht mit Glück. Ich mochte vor allem das Erwachen am Morgen. Wenn ich sie auf die Stirn küsste und meine Hand über ihre Wange zum Hals glei ten ließ. Bis sie den Arm reckte, meinen Nacken fasste und mich an ihre Lippen zog. Das war immer ein guter Tag für die Liebe.
    »Eine Trennung ist wie die andere, Georges«, hatte ich gesagt, als er mich nach Loles Fortgang angerufen hatte. »Alle leiden. Es tut allen weh.«
    Mavros hatte mich als Einziger angerufen. Ein wahrer Freund. An jenem Tag hatte ich einen Strich unter meine ganzen Bekanntschaften gezogen. Und ihre Feiern. Das hätte ich schon längst tun sollen. Denn Mavros hatten sie auch allmählich fallen lassen, ihn nicht mehr eingeladen. Pascale mochten sie alle gern. Benoît eben - falls. Und sie bevorzugten glückliche Geschichten. Das machte weniger Probleme im alltäglichen Leben. Und es ersparte ihnen den Gedanken, dass es auch ihnen passieren konnte. Eines Tages.
    »Ja«, hatte er geantwortet. »Nur wenn du einen anderen liebst, hast du eine Schulter, an die du dich lehnen kannst, eine Hand, die deine Wange streichelt, und ... Verstehst du, Fabio, das neue Begehren distanziert dich von dem Leiden des Verlassenen.«
    »Ich weiß nicht.«
    »Ich weiß es.«
    Dass Pascale ihn verlassen hatte, war immer noch ein wunder Punkt bei Mavros. Wie bei Lole und mir. Aber ich versuchte, Loles Entscheidung einen Sinn beizumessen. Denn schließlich musste das alles einen Sinn haben. Lole hatte mich nicht grundlos verlassen. Gewissermaßen hatte ich heute nur zu gut verstanden, und was ich verstehen konnte, konnte ich auch verzeihen.
    »Boxen wir ein bisschen?«
    Das Boxstudio hatte sich nicht verändert. Es sah noch aus wie am ersten Tag. Nur die Plakate an der Wand waren vergilbt. Aber Mavros hing an seinen Plakaten. Sie erinnerten ihn daran, dass er ein guter Boxer gewesen war. Und auch ein guter Trainer. Heute stieg er nicht mehr in den Ring. Er gab Unterricht. Den Jungs aus dem Viertel. Und die Stadtverwaltung half mit einer kleinen Subvention, das Studio aufrechtzuerhalten. Alle im Viertel waren sich einig, dass die Jungs beim Boxen besser aufgehoben waren als auf der Straße, wo sie Autos in Brand steckten oder Fenster einschlugen.
    »Du rauchst zu viel, Fabio«, stellte er fest. »Und da«, fügte er hinzu (und klopfte mir auf den Bauch), »ist es ein bisschen schlaff.«
    »Und da!«, konterte ich und verpasste ihm einen Kinnhaken.
    »Auch schlaff.« Er lachte. »Na los, komm ran!«
    Mavros und ich hatten einmal eine Mädchengeschichte in diesem Ring klargestellt. Wir waren sechzehn. Ophelia hieß sie. Wir waren beide verrückt nach ihr. Aber wir mochten uns, Mavros und ich. Und wir wollten uns nicht wegen eines Mädchens zerstreiten.
    »Drei Runden nach Punkten«, hatte er vorgeschlagen.
    Sein Vater machte amüsiert den Schiedsrichter. Er war es, der das Studio mithilfe einer Vereinigung, die der kommunistischen Gewerkschaft nahe stand, ins Leben gerufen hatte. Sport und Kultur.
    Mavros war weit besser als ich. In der dritten Runde drängte er mich in eine Ecke des Rings und schlug hartnäckig immer wieder kraftvoll zu. Aber ich hatte mehr Wut in mir als er. Ich wollte Ophelia um jeden Preis. Während er schlug, holte ich Luft, dann machte ich mich frei und drängte ihn zurück in die Mitte des Rings. Dort gelang es mir, ihm gut zwanzig Hiebe zu verpassen. Ich konnte seinen Atem an meiner Schulter hören. Wir waren gleich stark. Mein Begehren nach Ophelia glich meine technische Schwäche aus. Kurz vor dem Gong erwischte ich ihn auf der Nase. Mavros verlor das Gleichgewicht und suchte Halt an den Seilen. Total ausgepumpt, drosch ich auf ihn ein. Nur noch wenige Sekunden, und er hätte mich mit einem einzigen Uppercut flachlegen können.
    Sein Vater erklärte mich zum Sieger. Mavros und ich umarmten uns. Aber Freitagabend beschloss Ophelia, mit ihm auszugehen. Nicht mit mir.
    Mavros hatte sie geheiratet. Sie war gerade zwanzig geworden. Er war einundzwanzig und hatte eine viel versprechende Karriere als Mittelgewichtler in Aussicht. Aber ihretwegen

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