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Maschinenmann: Roman (German Edition)

Maschinenmann: Roman (German Edition)

Titel: Maschinenmann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Barry
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ich nach einem Stift.
    Vor einigen Jahren hatte ein Typ aus der Abteilung Gele mit einem zerbrochenen Schlenkrohr auf drei Leute eingestochen. Man musste Tränengas einsetzen, um ihn aus dem Labor herauszuholen. Wild um sich schlagend schrie er, dass niemand seine Laborberichte ernst nahm. Eins der Opfer erlag seinen Verletzungen. Danach versammelten sich tagelang Leute in den Korridoren, um ihrer Fassungslosigkeit Ausdruck zu verleihen. »Wie kann so was sein? Ich versteh’s nicht.« In den ungewöhnlichsten Formationen drängten sie sich zusammen, Ingenieure mit Marketingspezialisten, Führungskräfte mit Leuten aus der Buchhaltung. Alle wollten sicher sein, dass die anderen auch dieser Meinung waren: Es war einfach unbegreiflich. Sie brauchten diese Bestätigung.
    Zuerst schüttelte ich den Kopf wie alle anderen. Ich wollte nicht respektlos erscheinen. Dann hielt ich es nicht mehr aus und erklärte, dass er ganz offensichtlich frustriert gewesen war. Damals sprach ich mit Elaine, meiner Laborassistentin mit der unreinen Haut, die sich später wegen ihrer Albträume versetzen ließ. Elaine sah mich an und suchte nach Worten. »Ja, aber wie kann man so frustriert sein, dass man …« Ich antwortete, dass frustrierte Leute eben so handelten: Sie wurden gewalttätig. Elaine schüttelte den Kopf. »Aber Sie würden doch nie so handeln.« Schwer zu sagen, erwiderte ich. Doch in Wirklichkeit war ich der Meinung, dass ich unter den gleichen Voraussetzungen und mit den gleichen Umweltreizen ähnlich reagieren würde. Schließlich gehörte ich keiner anderen Gattung an. Sobald das Gehirn mit Vasopressin geflutet wird, steigt eben der Drang zur Gewalt. Das ist keine Frage persönlicher Schuld. Es passiert einfach. Wenn man ein Glas fallen lässt, stürzt es zu Boden. Das ist nicht das erwünschte Ergebnis, aber das Glas sollte man nicht dafür verantwortlich machen. Wenn eine Ursache eine Wirkung nach sich zieht, ist ein moralisches Urteil fehl am Platz. Wir sind biologische Maschinen. Wir haben chemisch geprägte Antriebe. Injiziert man einer Nonne einen bestimmten Chemiecocktail, wird sie zur aggressiven Schlägerin. Das ist eine Tatsache.
    Mir erschien das alles einfach und selbstverständlich, aber vielleicht drückte ich mich nicht besonders gut aus, denn am gleichen Nachmittag bekam ich einen Anruf von der Personalabteilung. Es hieß, dass sich jeder beraten lassen konnte, den der Vorfall verstört hatte. Ob ich von diesem Angebot Gebrauch machen wollte? Ich lehnte ab, man legte mir nahe, es dennoch zu tun, und so redete ich drei Stunden lang mit einem Glatzkopf in seinem Büro. Am Ende schien er meinen Standpunkt zu begreifen oder war zumindest zu der Überzeugung gelangt, dass ich nicht bei nächster Gelegenheit alles über den Haufen schießen würde. Seiner Meinung nach gehörte es zu unserer Verantwortung als zivilisierte Menschen, unsere niederen Instinkte im Zaum zu halten. Ich pflichtete ihm bei, doch gleichzeitig wurde mir klar, in was für einer bizarren Situation wir uns befanden: eine Welt voller höflich lächelnder Männer und Frauen, die nur einen Serotoninabfall weit von blutrünstiger Wildheit entfernt waren – und die ganze Zeit so taten, als wäre nichts. Ich fand, dass man diese Situation verbessern konnte.
    Ich ging ins Labor 4 und kletterte in die Contours. Einige anwesende Gammas musterten mich neugierig durch ihre Z-Brillen. »Testen wir?«, fragte jemand. Ich schüttelte den Kopf. Dann schaltete ich ein und fuhr die Contours auf Gehhöhe aus. Ich machte einen Schritt, dann noch einen und verließ das Labor.
    Als ich aus dem Aufzug stieg, warteten schon vier Wachleute auf mich. Einer von ihnen war Carl, der menschliche Berg. »Guten Tag, Sir? Möchten Sie irgendwohin?«
    Meine Beine machten bereits einen Bogen um ihn, und ich konnte sie erst nach einem Moment zum Bremsen bewegen. Sie schienen mir ein wenig ausgelassen. Ruckelnd kam ich zum Stehen. Mir fiel auf, dass außer den vieren niemand in der Nähe war. Alles menschenleer. »Ja, raus.«
    »Wo wollen Sie denn hin? Wir fahren Sie.«
    »Nur raus«, antwortete ich. »Ein Test.«
    »Tut mir leid, Dr. Neumann, aber externe Versuche müssen genehmigt werden.«
    Mein Kiefer spannte sich. Es war nicht Carls Schuld, aber ich war sauer, weil ich von Lola abgeschnitten war. Ich sollte einfach rausmarschieren , schoss es mir durch Kopf. Sie hatten doch gar keine Chance, mich aufzuhalten. Eigentlich war das nicht als mentale Anweisung an die Contours

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