Maschinenmann: Roman (German Edition)
Schock ausgebreitet. Ihr Mund öffnete und schloss sich. Ihre Finger beschrieben einen langsamen Bogen durch die Luft, der endete, wo sich unter ihrem gelben Kleid eine rote Blume entfaltete. Dann stürzte sie.
»Im Grunde war es Ihr Fehler, Charlie. Ich will hier nicht mit Schuldzuweisungen anfangen. Aber Sie sind einfach weggerannt … und da haben sich natürlich alle gefragt, was Sie vorhaben.«
Uniformierte hatten mich aus meinen Beinen gezerrt. Die Nervenschnittstelle zerriss. Dann bohrte sich eine Spritze in meine Schulter.
»Ich weiß nicht, ob Sie so recht begreifen, unter welchem Druck wir stehen. Der Vorstand. Der tägliche Stress. Die Unwägbarkeiten.«
Ich koordinierte meine Arme und stemmte mich hoch. Ich befand mich in einem kleinen Raum ohne Fenster. Die Wände waren in einem nostalgischen Blassblau gehalten. An einer Seite stand ein Erste-Hilfe-Schrank. Ein Krankenzimmer.
»Sie wird operiert«, bemerkte Cassandra Cautery. »Wenn Sie möchten, können Sie zuschauen.«
Ich öffnete den Mund. In meinem Kopf brandete Schwindel auf. Operiert?, wollte ich sagen. Und danke und rettet sie und sonst.
»Sobald Sie sich dazu imstande fühlen, würde ich gern Ihre Meinung hören. Ihre Meinung dazu, warum Ihre Freundin ein Herz aus Metall hat.«
Dann ging sie. Zurück blieben nur ich, ein Bett und ein PVC-Boden mit beunruhigenden Flecken. Im Vergleich zum Rest der Firma war dieses Zimmer die Dritte Welt. Vermutlich verriet das einiges über unsere Prioritäten. Heiler waren wir bestimmt nicht.
Die Tür war abgesperrt. Zumindest nahm ich das an. Ich konnte mich nicht dazu überwinden, mich vom Bett und über den Boden zu schleppen, um es auszuprobieren. Meine Beine fehlten mir. Es war nicht das erste Mal, dass ich ohne sie auskommen musste, doch jetzt wusste ich, dass ich mich nie wieder von ihnen trennen durfte. Als halber Mensch, der darauf wartete zu erfahren, ob Lola lebte oder tot war, schwor ich mir, dass niemand auf der Welt mir je wieder meine Körperteile wegnehmen würde.
Endlich öffnete sich die Tür, und Carl trat ein. Zuerst sprach keiner von uns ein Wort. Als ich zuletzt mit ihm zu tun gehabt hatte, war ich auf künstlichen Beinen vor ihm geflüchtet, und er hatte Lola ins Herz geschossen. Alles andere als eine alltägliche Situation.
»Sie … äh … wird wieder«, sagte Carl. »Glaube ich.« Draußen im Gang erblickte ich einen Rollstuhl. Mit ausgestreckten Armen kam Carl auf mich zu. Ich versuchte, ihn wegzustoßen, weil ich mich nicht von ihm anfassen lassen wollte. Bis ich mich dazu überwinden konnte, würde viel Zeit vergehen. Doch er hatte Arme wie Propangasflaschen, während ich immer noch benommen war und nur eine Hand hatte. Also hob er mich vom Bett. Und ich brach an Carls felsenharten Brustmuskeln in Tränen aus. Eine posttraumatische Reaktion. Ich hatte viel durchgemacht.
»Alles wird gut«, murmelte Carl tröstend.
Ich schluchzte. Wahrscheinlich war Carl ein anständiger Kerl. Ein anständiger Kerl in einem harten Beruf.
»Es war nicht letale Munition. Sonst hätte ich nicht gefeuert.«
Mein Schluchzen brach ab. Das Munitionssortiment unserer Firma war mir bekannt und ebenso unsere Definition von nicht letal. Wenn wir von Waffen sprachen, deren Ziele nicht nur überlebten, sondern sich auch mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder völlig erholten, sprachen wir von nicht verstümmelnd. Ich boxte Carl gegen die Schulter, doch er reagierte überhaupt nicht. Gerade als ich es noch einmal versuchte, setzte er mich in den Rollstuhl. »Das Buch war scheiße«, fauchte ich. »Dieses blöde Buch über Zeitreisen.« Carl schwieg, und auch ich verstummte.
Cassandra Cautery wartete in einem kleinen, dunklen Beobachtungsraum über einem Operationssaal. Nur ihre zierliche Silhouette im Kostüm war zu erkennen. Als Carl mich hineinrollte, warf sie mir einen kurzen Blick zu, dann konzentrierte sie sich wieder auf die grün gekleideten Gestalten, die sich unten um einen Operationstisch scharten. Carl schloss die Tür. Bevor er meinen Rollstuhl berühren konnte, tastete ich nach den Griffen und schob mich selbst vor zur Scheibe.
Auf dem Tisch lag Lola. Aus einem Meer von grünem Tuch ragte ihr Arm heraus. Sonst war nichts von ihr zu erkennen, aber es reichte. Ein Chirurg stand mit dem Rücken zu mir, seine Schultern arbeiteten. Es fühlte sich schrecklich an. Lola lag hilflos da, und ein wildfremder Typ wühlte in ihr herum.
»Ich vermute, Miss Shanks hat sich einem Versuch unterzogen«,
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