Maschinenmann: Roman (German Edition)
sie hinwollten. Das Krankenzimmer, in dem sich Lola aufgehalten hatte, bevor sie hierhergezogen war. Zwar hatte ich keine Ahnung, warum sie ausgerechnet dort sein sollte, doch ein anderer Ort fiel mir nicht ein. Die Contours fegten mühelos fünf Stockwerke hinunter, und ich glaubte schon, die besondere Fehlerquelle im Gelände erfasst zu haben, die sie blockierte, als sie plötzlich eine Stufe verfehlten und wie ein Hammer auf die nächste krachten. Sprünge schossen durch den Beton bis zur gegenüberliegenden Wand. Ächzend klammerte ich mich an meinem Eimersitz fest. Meine Schenkel waren schweißnass. Ich hatte nie getestet, was passierte, wenn sich um die Nervenschnittstellen Wasser sammelte. Sicher nichts Gutes. Ich musste weg von dieser Treppe. Bei jeder Stufe nahm ich eine manuelle Einstellung vor, um das automatische Wegsuchprogramm außer Kraft zu setzen. Die Zähne taten mir weh, weil ich damit knirschte. Als ich schließlich die Tür zur medizinischen Abteilung aufdrückte, zitterte ich am ganzen Körper. Noch nie hatte ich etwas physisch derart Anstrengendes unternommen. Ich trat hinaus in den Korridor, wo vier Sicherheitskräfte von Better Future auf mich warteten.
Einer sprach mich an. Nicht Carl. »Dr. Neumann, wir würden es sehr begrüßen, wenn Sie sich ein wenig beruhigen könnten.«
Alle vier Wachleute hatten die Hand auf einem Pistolenhalfter. Sie wollten mir signalisieren, dass die Sache nicht ernst werden musste, aber konnte. Ich fragte mich, ob ich es auf den Contours an ihnen vorbeischaffen würde, ehe sie ihre Waffen ziehen konnten. Wahrscheinlich ja. Sie unterschätzten meine Beschleunigung. Natürlich war das nur eine kurzzeitige Lösung. Aber immerhin. Ich entschied mich dafür. In diesem Moment kam Lola aus einer Tür. »Charlie!« Sie drängte sich durch die Wachleute. »Du siehst ja furchtbar aus. Was ist denn los?«
»Sie …« Ich stockte. »Was machst … warum bist du hier?«
»Ein Mann hatte einen Unfall. Sie haben mich gebeten, ihm zu helfen.« Sie versuchte, sich die Haare aus den Augen zu streichen. »Charlie, man könnte glauben, du kriegst gleich einen Herzinfarkt.«
»Was für ein Mann?«
»Gleich da drüben. Komm, ich zeig’s dir.«
»Was für ein Unfall?«
Sie zog mich an der Hand mit. Ich folgte ihr, und die Sicherheitskräfte traten beiseite. »Ein Wachmann. Er … du weißt schon, dieser Wachmann.«
Welcher Wachmann, lag mir auf der Zunge, doch ich sprach es nicht aus, weil ich schon Bescheid wusste.
»Er heißt Carl.« Vor dem Krankenzimmer blieb sie stehen und wandte sich zu mir um. In ihren Augen glitzerte ein schreckliches Licht. Wie von … Liebe. »Er hat beide Arme verloren.«
Und da war er. Nackt bis auf die Boxershorts saß Carl auf dem Bettrand und spannte einen Arm an. Meinen Arm. Es war ein Beta-Prototyp: dünne, hohle Stränge aus zarter Alutitanlegierung auf Kugelgelenken mit unabhängigen Rotationsachsen. Der Hauptvorteil war, dass er in jede Richtung greifen konnte, also auch nach hinten, und keine fünf Kilo wog, was ideal war für einen Anwender, der die Belastbarkeit seines Rückgrats nicht aufgerüstet hatte. Die Nervenschnittstelle war noch die erste Generation und taugte nur für motorische Funktionen. Im Grunde also nur ein Trainingsarm. Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass Carl kein Recht auf ihn hatte.
Immerhin wirkte er leicht verlegen. Er hörte auf, den Arm zu beugen, und wandte den Blick ab. Um seine Lippen zuckte es, als würde er sich ein Lächeln verkneifen, um mich nicht zu reizen. Es war die richtige Entscheidung. Denn ich musste mich sehr zusammenreißen, um ihn nicht durch die Wand zu treten.
»Er hatte einen Unfall.« Lola bemerkte, dass der Arm irgendwie nicht ganz richtig um Carls Schulter geschnallt war, und fing an, daran herumzufummeln. »Er darf nicht darüber reden, aber … es war natürlich ein Trauma für ihn. Es ist wirklich ein Glück, dass du diese erstaunlichen Geräte hast. Das habe ich gerade zu Carl gesagt.« Noch immer nestelten ihre Finger an schwellenden Muskeln herum. Der Typ war wie aus dem Anatomielehrbuch. Es war widersinnig, dass jemand, der so viel Arbeit in seinen Körper gesteckt hatte, bereit sein sollte, einen Teil davon zu opfern. Wenn da nicht die verbrannte Verlobte gewesen wäre. Kraft kann man nie genug haben. »Ich bin froh, dass du hier bist, Charlie, weil du das alles schon durchgestanden und was Positives aus deiner Amputation gemacht hast. Mit dieser Erfahrung kannst du
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