Maschinenmann: Roman (German Edition)
während sich die Platten schlossen. In seinen Augen las ich: Wie kannst du mir das antun? Du weißt doch, dass ich die Körperteile brauche.
Ich setzte mich auf. Carl war doch böse, oder nicht? Er hatte auf Lola geschossen und meine Arme gestohlen. Oder sie zumindest ohne meine Einwilligung benutzt. Das Entscheidende war, dass sich sein Verhalten schädlich auf Beziehungen auswirkte. Er war eine Gefahr für etwas sehr Wichtiges in meinem Leben.
Andererseits hatte er keine Arme. Ohne meine Hilfe würde er Krankenhausprothesen bekommen und ein trauriges Dasein fristen.
Ich weckte die Contours und schwang mich in die Senkrechte, um mich auf den Weg zur Glashalle zu machen. Ich musste Cassandra Cautery anrufen. Ihre Privatnummer kannte ich nicht, aber ich konnte ihr eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Danach würde ich endlich Schlaf finden.
Doch als ich das Klingelzeichen hörte, zögerte ich. Mein Gehirn flüsterte mir neue Szenarien zu. Carl bei der Physiotherapie mit Lola. Sie hinter ihm, die Arme um seinen Rumpf geschlungen, um ihm zu zeigen, wie er sich bewegen musste. Ihr Atem, der sein Ohr kitzelte.
Ich bemerkte, dass sich hinter dem grünen Glas etwas regte. Jason, der noch arbeitete. Ich dachte: Vielleicht gibt es noch einen anderen Weg.
Ich hielt still, während um mich herum der MRT-Apparat dröhnte. Es war beunruhigend, weil ich auf dem Rücken liegen und den Kopf in ein kleines Loch in einer großen Maschine stecken musste. Die Sache war die, dass das Loch wie ein Maul aussah. Außerdem konnte ich nicht ohne Weiteres vergessen, dass das Gerät genug Magnetkraft erzeugte, um eine Nadel durch meinen Körper zu ziehen. Ich war froh, daran gedacht zu haben. Wenn alles nach Plan lief, konnte ich schon bald keine Kernspinaufnahme mehr machen, ohne eine ernste Gefahr für mein Leben heraufzubeschwören. Zumindest das rhythmische Wumm-wumm-wumm war tröstlich.
»Sehr gut«, bemerkte Jasons körperlose Stimme. »Jetzt Be dauern. Etwas, das Sie gerne rückgängig machen würden.«
»Als ich zwölf war, ist ein Onkel von mir an Darmkrebs gestorben. Ich weiß noch, wie mich das verblüfft hat. Dass das Versagen eines kleinen Körperteils tödlich für den ganzen Organismus sein soll. Ich habe nicht verstanden, warum sie ihm nicht einfach einen neuen Dickdarm geben konnten.«
»Tut mir leid. Nicht viel zu erkennen. Können Sie es noch mal versuchen? Etwas … Emotionaleres?«
»Na ja … Einmal in der Highschool bin ich nicht zu einem Schulball gegangen, weil ich dachte, dass mich sowieso niemand begleiten will. Später hab ich dann erfahren, dass ein Mädchen, das ich mochte, dazu bereit gewesen wäre.« Isabella. Eine gute Schachspielerin. Vernachlässigte aber immer die Türme.
»Immer noch nichts Eindeutiges.«
Fast hätte ich gesagt: Überspringen wir diesen Punkt. Genau genommen war Bedauern gar nicht so wichtig. Es war eine soziale Emotion. Die Überlebenschancen der Gruppe wurden maximiert, wenn alle Mitglieder die emotionale Verpflichtung empfanden, einander fair zu behandeln. Aber persönlich wollte man in der Lage sein, ohne Reue zu betrügen und zu stehlen. Nicht, dass ich darin eine besonders vorbildliche Wertvorstellung erkannt hätte. Doch rein logisch betrachtet war es so.
»Als Kind bin ich mal von einem Baum gefallen«, sagte ich. »Ich hatte eine Risswunde am Bein und musste genäht werden. Davon ist mir eine Narbe geblieben. Eine kleine weiße Linie. Und jetzt, wo sie verschwunden ist, fehlt sie mir irgendwie. Es war eine physische Verbindung zu meiner Vergangenheit. Nichts Wichtiges, aber trotzdem. Ich wurde in nicht vorhersehbarer Weise von ihr abgeschnitten. Mein Körper ist ein räumliches Abbild der Zeit. Er hat eine eingeschriebene Geschichte.« Als Jason schwieg, sprach ich weiter. »Natürlich regeneriert sich das menschliche Gewebe alle sieben Jahre komplett. Also ist es unwahrscheinlich, dass sich die Narbe aus denselben Molekülen zusammengesetzt hat. Halten Sie es wirklich für angemessen, einen Menschen nach sieben Jahren immer noch als denselben Organismus zu betrachten? Denn rein physisch ist das nicht gegeben. Sicher besteht eine Verbindung, aber alle Einzelteile haben sich verändert. Wie bei einem renovierten Haus. Man möchte meinen, dass man nach sieben Jahren nicht mehr verantwortlich sein sollte für Taten von früher. Warum sollte ein Mensch für ein Verbrechen eingesperrt werden, das von einem anderen physischen Organismus begangen wurde? Dürfen wir
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