Mathias Sandorf
meinem Kameraden Zirone in Sicilien zusammentreffen, woselbst er mich erwarten soll…«
»Sie würden keinen so langen Aufenthalt… Thurm von…«
Augenscheinlich plauderten Sarcany und ein Aufseher zusammen. Sarcany sprach jetzt auch den Namen eines gewissen Zirone aus, der bei der Angelegenheit betheiligt gewesen zu sein schien; Mathias Sandorf prägte denselben sorgfältig seinem Gedächtnisse ein.
Unglücklicherweise schlug das letzte Wort, dessen Kenntniß den Gefangenen von großem Nutzen gewesen wäre, nicht an ihr Ohr. Gegen das Ende des letzten Satzes ertönte ein heftiger Donnerschlag, während der elektrische Funke am Blitzableiter herniederfuhr, sprangen Strahlenbüschel auf das metallene Band hinüber, das Graf Sandorf in der Hand hatte. Ohne den Seidenstoff, mit dem es umwickelt war, hätte der Graf durch den elektrischen Strom sicher den Tod gefunden.
Das letzte Wort, der Name des Wartthurmes, war also in dem heftigen Krachen des Donners verhallt. Die Gefangenen hatten es nicht verstehen können; wissen zu können, in welche Festung sie eingesperrt waren, durch welche Provinz ihre Flucht gehen mußte, wie sehr hätte das die Aussichten auf ein gutes Gelingen des Ausbruches vermehrt, der unter so schwierigen Verhältnissen begonnen wurde!
Graf Sandorf hatte wieder seine Thätigkeit aufgenommen. Drei Löcher waren schon so weit ausgebrochen worden, daß die Eisenstangen bequem hinausgingen. Das vierte wurde beim Leuchten der unaufhörlich den Himmelsraum durchfurchenden Blitze in Angriff genommen.
Um zehn ein halb Uhr war das Werk vollständig gethan. Das von den Wänden befreite Fensterkreuz ließ sich durch die Oeffnung schieben. Man brauchte es nur noch hindurch zu stoßen, damit es jenseits der Mauer zu Boden fallen konnte. Das geschah, sobald Ladislaus Zathmar den Wachposten auf dem Flur sich entfernen hörte.
Das aus der jenseitigen Fensteröffnung herausgestoßene Fensterkreuz überstürzte sich und verschwand.
In diesem Augenblicke gerade schwieg das Unwetter. Graf Sandorf lauschte aufmerksam, um von dem Geräusche etwas zu vernehmen, welches dieses schwerfällige Stück durch das Aufschlagen auf den Boden verursachen mußte. Er vernahm nichts.
»Der Thurm muß auf einem hohen Felsen erbaut sein, der das Thal beherrscht, bemerkte Stephan Bathory.
– Was thut die Höhe? fragte Sandorf. Das Kabel des Blitzableiters muß jedenfalls den Boden irgendwo erreichen, denn sonst könnte es nicht functioniren. Wir werden ihn also ebenfalls erreichen, ohne einen Sturz befürchten zu müssen.«
Eine im Allgemeinen richtige Annahme, die sich in diesem Falle jedoch falsch erwies, weil das Ende der Leitung in das Wasser der Foïba führte.
Das Fenster stand offen, der Augenblick der Flucht war gekommen.
»Wir wollen uns nun folgendermaßen verhalten, Freunde, sagte Graf Sandorf. Ich bin der Jüngste und, wie ich glaube, auch der Kräftigste. Ich werde also zuerst versuchen, am Blitzableitungsdraht hinunter zu gleiten. Sobald ein unmöglich schon jetzt vorauszusehender Umstand mich hindern sollte, den festen Boden zu erreichen, werde ich vielleicht noch die Kraft haben, wieder bis zum Fenster hinaufzuklimmen. Zwei Minuten später schlüpfst Du, Stephan mir nach. Abermals nach zwei Minuten nehmen Sie, Ladislaus, denselben Weg. Wenn wir Drei unten am Fuße des Berges wieder vereinigt sind, werden wir je nach den Umständen weiter überlegen, was zu thun ist.
– Wir werden Dir gehorchen, Mathias, antwortete Stephan Bathory. Wir werden thun, was Du uns zu thun befiehlst, und werden gehen, wohin Du uns schicken wirst. Wir wollen aber nicht, daß Du den Haupttheil der Gefahr für Dich allein in Anspruch nimmst…
– Unser Leben ist nicht so viel werth als das Ihrige, setzte Graf Zathmar hinzu.
– Es ist in Anbetracht des Actes der Gerechtigkeit, den wir zu erfüllen haben, sehr viel werth, antwortete Mathias Sandorf, und wenn nur ein Einziger von uns am Leben bleibt, so wird er derjenige sein, der Gerechtigkeit zu üben hat. Umarmt mich, Freunde!«
Die drei Männer umarmten sich mit Herzlichkeit, und es schien, als hätten sie aus dieser Umarmung größere Entschlossenheit geschöpft.
Während Ladislaus Zathmar an der Thür der Zelle Stellung nahm, schlüpfte Graf Sandorf in die Oeffnung. Einen Augenblick später hing er über dem Abgrund.
Seine Knie schlossen sich fest an das eiserne Kabel, Hand über Hand ließ er sich herunter, wobei er mit den Füßen die Klammern möglichst zu erreichen
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