Mauer, Jeans und Prager Frühling
Rohschnitt-Vorführung wurden auch Passagen der Kür unseres Kameramannes gezeigt und zur allgemeinen Begeisterung. Es war eine faszinierende Huldigung an eine nun endgültig zum Untergang verurteilte Universität …«
Mit diesem Film gäbe es also ein Dokument des geretteten Teils der alten Leipziger Universität. Welcher Leipziger, welcher Studierende aus jenen Zeiten möchte ihn nicht gern sehen?! Leider ist das nicht möglich, denn 1965 fand bekanntlich das 11. Plenum statt.
»Der Film wurde denunziert und daraufhin liquidiert … Unzulässige Sicht auf unsere Gesellschaft dürfte das Verdikt gelautet haben, eine Kollision von realistischer Literatur mit der Realität … Meine Arbeit von zwei Jahren wurde durch einen Griff aus dem Dunklen heraus auf den Abfall getan. Niemals wieder habe ich etwas vernommen über denFilm ›Studenten‹ …« Selbst die Nachforschungen nach dem Herbst 1989 blieben ohne Erfolg. So ist auch das letzte Filmdokument über das ehrwürdige Gebäude verloren, die Bilder sind nur in den Köpfen der letzten Besucher des Hauses abrufbar.
Kirche und Universität paßten nicht mehr in die Pläne der komplexen Gestaltung sogenannter sozialistischer Stadtzentren. Man ließ sich etwas einfallen als »Argumentation zur Neugestaltung des Karl-Marx-Platzes«. Das klang dann von Oberbürgermeister Kresse in einer Rede vor den Stadtverordneten so: »Traditionen bewahren und pflegen, heißt doch nicht nur, von vergangenen Generationen Überkommenes zu bewahren, zu konservieren. Das stellt uns doch vielmehr die Aufgabe, der Tradition würdig kühn voranzuschreiten, kleine Beschränktheit zu überwinden. Schöngeisterei und passive Ehrfurcht vor der Historie haben mit der Pflege der Traditionen nichts zu tun …«
Die Trümmerkugel
Am 9. Mai 1963 wurde in Leipzig in einem Piratenakt der barocke Turm der Johanniskirche gesprengt. Das Kirchenschiff war im Krieg zerstört worden, der Turm hatte – denkmalsgeschützt – die Jahre überstanden. Professor Dr. Renate Drucker, damals Leiterin des Universitätsarchivs: »Ich habe immer gesagt: Das war Fröhlichs Generalprobe!«
Sie meinte damit, daß nun zum Halali gegen störendes Altes geblasen wurde. In den sechziger Jahren ging in Leipzig die Trümmerkugel um. Das Wort an sich ist schon falsch. Sie brachte nämlich bei weitem nicht nur Trümmer zum Einsturz, sondern auch intakte Häuser. Die offizielle Vorgabe war, sich von viel Altem zu trennen; in Leipzig sollten »sichtbare Kriegsschäden beseitigt« werden. Aber in einem sozialistischen Land ist alles knapp – auch die Abbruchtechnik. Und deshalb verzögerte sich etliches. Zur 800-Jahr-Feier Leipzigs 1965 stand noch manches Gebäude, das die verantwortlichen Funktionäre gern als Schutt auf einer Halde gesehen hätten.
Paul Fröhlich forderte 1967 bei einem Stadtrundgang die Verantwortlichen auf, den Abriß zu beschleunigen. Die »Pfeffermühle« vermutete in jenen Jahren, Stadtplanung würde in Leipzig am Billardtisch betrieben: Wo die rote Kugel hinrollt, wird abgerissen, wo die weiße anhielt, blieb das Haus stehen. Bei den »academixern« spielte ich über Jahre in verschiedenen Programmen einen Stadtführer, der mit einer imaginären Reisegruppe durch das Zentrum spaziert. Am Markt angekommen, sagte ich: »Und hier, meine Damen und Herren, sehen Sie das Alte Rathaus, es wurde durch den Übereifer der Aktivisten der ersten Stunde bereits wenige Jahre nach dem Krieg wieder aufgebaut. So ist es dem Abriß entgangen!«
Das verstand jeder.
In den Sechzigern stürzte manches alte Haus. Das barocke Hotel de Saxe in der Klostergasse wurde abgetragen, durch eine Schütte polterte die historische Substanz auf LKWs . Die Delfter Kacheln wurden auf dem Schwarzmarkt verkauft oder landeten auch im Müll. Im Haus sollen noch originale barocke Kachelöfen gestanden haben! Wurden sie gerettet? Zuviel Hoffnung ist fehl am Platze. Mancher Fachmann versuchte sich in der Rettung des Hotels de Saxe – ohne Erfolg. Eine häßliche triste DDR-Lückenbebauung war das anschließende Ergebnis. Die alte Porphyr-Umrandung des Portals wurde in den farblosen Neubau integriert. Ein jämmerlicher Anblick. Dabei hätte es viele Gründe für den Erhalt dieses Gebäudes gegeben. Auf einer Tafel an der Hauswand liest der Betrachter: »1813 weilten hier Blücher und Gneisenau. Ludwig Würkert betrieb 1859 eine ›Restauration für Volksbildung, Volksveredelung und Volksermutigung‹.«
Solch eine Restauration hätten wir
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