Medicus 01 - Der Medicus
Rob Mörtel und ein paar einfache Werkzeuge, und sie versprach, das Haus am ersten Tag, an dem sie allein war, herzurichten. Die volle Hitze des persischen Sommers lastete auf ihr, und das schwarze Trauerkleid mit den langen Ärmeln war bald durchgeschwitzt.
Am Vormittag klopfte der schönste Mann, den sie je gesehen hatte, an die Tür. Er trug einen Korb mit dunklen Pflaumen, den er abstellte, um ihr rotes Haar zu berühren, was sie in Angst versetzte. Er kicherte, sah beeindruckt aus und lächelte sie mit makellos weißen Zähnen im braungebrannten Gesicht an. Er sprach lange; es klang gewandt, angenehm und voll Gefühl, aber es war Persisch. »Es tut mit leid«, bedauerte sie.
»Ah.« Er verstand sofort und berührte seine Brust. »Karim.« Sie verlor ihre Befangenheit und war entzückt. »Ihr seid also der Freund meines Mannes. Er hat von Euch gesprochen.« Karim strahlte und führte sie, während sie mit Worten protestierte, die er nicht verstand, zu einem Stuhl, auf den sie sich setzte und eine süße Pflaume aß, während er den Mörtel zu der genau richtigen Konsistenz mischte, ihn in drei Sprünge an den Innenwänden verteilte und dann ein Fenstersims erneuerte. Sie erlaubte ihm auch ungehemmt, ihr beim Ausschneiden der großen, verwilderten Büsche im Garten zu helfen. Karim war noch da, als Rob nach Hause kam, und Mary bestand darauf, daß er an ihrer Mahlzeit teilnahm, die sie verschieben mußten, bis es dunkel geworden war, denn es war Ramadãn , der neunte Monat, der Monat des Fastens.
»Ich mag Karim«, sagte sie, als er gegangen war. »Wann werde ich den anderen - Mirdin - kennenlernen?« Er küßte sie und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
Ramadãn erschien Mary als ein höchst merkwürdiges Fest. Es war Robs zweiter Ramadãn in Isfahan, und er erklärte ihr, es sei ein düsterer Monat, der vor allem dem Gebet und der Buße geweiht war, aber alle dachten zumeist nur ans Essen, denn es war den Mohammedanern verboten, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang feste Nahrung oder Flüssigkeit zu sich zu nehmen.
Auf den Märkten und den Straßen gab es keine Essenverkäufer, die maidans blieben den ganzen Monat lang dunkel und still, obwohl Freunde und Familien sich abends versammelten, um zu essen und sich für das Fasten des nächsten Tages zu stärken.
»Voriges Jahr hielten wir uns während des Ramadãn in Anatolien auf«, erinnerte sich Mary sehnsüchtig. »Vater kaufte Lämmer von einem Hirten und gab ein Fest für unsere mohammedanischen Diener.«
»Wir könnten anläßlich des Ramadãn ein Abendessen geben.«
»Das wäre schön, aber ich bin in Trauer«, erinnerte sie ihn. Sie war zwischen widersprechenden Gefühlen hin und her gerissen, manchmal war der Kummer über ihren Verlust so groß, daß sie wie gelähmt war, dann wieder war ihr schwindelerregend bewußt, daß sie in ihrer Ehe die glücklichste Frau war.
Bei den wenigen Gelegenheiten, zu denen sie das Haus verließ, schien es ihr, daß die Menschen sie feindselig anstarrten. Ihr schwarzes Trauerkleid glich ganz den Kleidern der anderen Frauen in der Jehuddijeh, aber zweifellos war sie durch ihr unbedecktes rotes Haar als Europäerin kenntlich. Sie versuchte, ihren breitkrempigen Reisehut zu tragen, aber sie sah, daß die Frauen auf der Straße trotzdem mit Fingern auf sie zeigten und ihr gegenüber unvermindert kühl blieben. Während des ganzen Monats Ramadãn besuchte sie nur Karim, und sie sah den jungen persischen Arzt auch mehrmals durch die Straßen laufen, ein Anblick, bei dem sie den Atem anhielt, denn es war, als beobachte sie ein elegantes Reh. Rob erzählte ihr von dem Wettlaut, dem chatir , der am ersten Tag des dreitägigen Festes stattfinden sollte, das Bairam hieß und am Ende der langen Fastenzeit gefeiert wurde. »Ich habe versprochen, Karim während des Wettlaufs beizustehen.«
»Wirst du sein einziger Helfer sein?«
»Mirdin wird auch hinkommen. Aber Karim wird uns beide brauchen.«
»Dann bist du dazu verpflichtet«, erklärte sie entschieden. »Der Wettlauf selbst ist keine Feier. Es kann kein Verstoß sein, wenn jemand, der Trauer trägt, zusieht.« Sie dachte darüber nach, während der Bairam näher rückte, und schließlich rang sie sich zu dem Entschluß durch, daß ihr Mann recht hatte und sie dem chatir beiwohnen würde.
Am ersten Morgen des Monats Shawwa stand Karim früh auf, kochte einen großen Topf Erbsen mit Reis und bestreute den einfachen pilaw mit Selleriesamen, die er mit großer
Weitere Kostenlose Bücher