Medienmuendig
Abiturzeugnis, ob Eltern ihrem Kind helfen können, medienmündig zu werden, sondern an der Einstellung im Kopf.
Unter der digitalen Kluft liegt eine reale Schlucht
Unter
digital divide,
also unter »digitaler Kluft« versteht man die Beobachtung, dass privilegierte Gruppen in der Gesellschaft auch aus der Verwendung digitaler Medien mehr Nutzen ziehen als andere, benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Das Privileg besteht nicht in längeren Nutzungs
zeiten
, denn diese sind in den benachteiligten Gruppen sogar wesentlich höher. Das Privileg besteht darin, dass die Privilegierten besser auswählen, besser verstehen, besser verarbeiten können, was die Medien zu bieten haben. 117 Dadurch wächst die Wissenskluft und die soziale Ungerechtigkeit verschärft sich.
Eine Untersuchung zur Filmrezeption bei Schweizer Schülern bestätigte dies. Forscher zeigten vielen Jugendlichen aus verschiedenen Schulformen dieselbe medienpädagogische Sendung. Zur Auswertung unterteilten sie dann die Jugendlichen in zwei Gruppen, je nachdem, welche Angaben sie vor dem Experiment in einem Fragebogen gemacht hatten: in die Vielfernseher und die Vielleser. Nun untersuchten die Forscher, wie viel die Jugendlichen durch den Film gelernt hatten. Und es waren nicht die Vielfernseher, die dabei besonders viel lernten, obwohl sie doch in bester Übung hätten sein können, sondern die Vielleser. Wer viel liest, profitiert
auch
vom Fernsehen mehr als der Vielfernseher. Umgekehrt ist das Gegenteil der Fall: Vielfernseher können schlechter lesen und die aufgenommenen Informationen schlechter im Gedächtnis behalten. Die Forscher schlussfolgern: »Wer schon hat, dem wird gegeben.« 118
Das ist deshalb so besonders enttäuschend, weil die allerersten Fernsehprogramme für Kinder das Ziel verfolgten, etwas für die Bildung benachteiligter sozialer Schichten zu unternehmen. Das erste, eigens zu diesem Zweck entwickelte Programm war die
Sesamstraße
, die schon in den 1960er Jahren in den USA, Anfang der 1970er dann auch in Deutschland ausgestrahlt wurde. Die Begleitforschung zeigte zunächst auch leicht positiveErgebnisse bei Kindern aus schwierigen Verhältnissen: einen leicht erhöhten Wortschatz, etwas bessere Formen- und Buchstabenerkennung. Man freute sich über den Erfolg, auch wenn er sich nur im Bereich des abfragbaren Faktenwissens abspielte, nicht über das Wissen zu Problemlösestrategien (prozedurales Wissen). Die Freude währte aber nur so lange, bis die Ernüchterung kam: Ein zweites Forscherteam hatte einen Fehler in den Rechnungen entdeckt. Um den Bildungserfolg der
Sesamstraße
zu messen, hatte man nämlich regelmäßig Mitarbeiter in die Familien geschickt. Was das erste Team als Bildungserfolg dieser Serie interpretiert hatte, das war bei Einbeziehung der Besuchsdaten eigentlich die Wirkung, die ein freundlicher, geduldiger, neugieriger Erwachsener durch regelmäßige Gespräche mit einem Kind aus schwierigen Verhältnissen erzielt. 119 Dass menschliche Zuwendung sich fördernd auf die Bildung auswirkt, wurde auf diese Weise – unabsichtlich – erneut bestätigt, ein erfreuliches Ergebnis für alle, die in der direkten pädagogischen Arbeit »am Kind« tätig sind: Eltern, Erzieher, Lehrer sind zum Lernen nach wie vor unersetzlich.
Dabei klang das doch zunächst so verlockend: Fernsehen, und dabei fürs Leben lernen. Computer spielen, und dabei etwas für die Bildung tun. Das nennen die Bildungsexperten »Kompetenztransfer«. Manche sprechen sogar von »intramondialem Kompetenztransfer«, also Übertragung zwischen den Welten, womit das echte Leben und die virtuelle Realität gemeint sind. Das klingt nicht nur gut, es verkauft sich auch gut. Das Trainingsprogramm »Dr. Kawashimas Gehirnjogging« gehört zu den Bestsellern von Nintendo, und die Anzahl verkaufter Produkte erreicht weltweit zweistellige Millionenbeträge. Zu den Werbeversprechen gehört, der Blutfluss in den Kopf werde gesteigert und die praktische Intelligenz erhöht. Die wissenschaftliche Überprüfung der Wirksamkeit war äußerst zweischneidig. Wer mit Dr. Kawashima trainierte, verbesserte sich beim Lösen von Dr. Kawashima-Aufgaben. Die schlechte Nachricht war, dass weder im Dreisatz noch in allgemeiner kognitiver Leistungsfähigkeitnoch in praktischer Intelligenz Verbesserungen gegenüber der Vergleichsgruppe zu verzeichnen waren, laut einer britischen Studie aus dem Jahr 2010 mit über 11 000 Teilnehmern. 120 Es kam also am Bildschirm wohl zu einer
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