Mein Leben mit Wagner (German Edition)
Blondi gab und Hitler kein Fleisch aß? Sollen sich unsere Politiker von der Festspieleröffnung fernhalten, weil an der «Auffahrtsallee» zwischen 1933 und 1944 Hakenkreuzfahnen flatterten und der «Führer» oben vom Balkon des Festspielhauses grüßte? Nein. Wagner ist deswegen ein universeller Künstler, weil er den unterschiedlichsten Menschen gefiel und gefällt. Und Bayreuth darf auch heute noch eine Institution sein, mit der sich das Land identifiziert. Deshalb gehören der Bundespräsident, die Kanzlerin und andere hochrangige Politiker für meinen Geschmack unbedingt nach Bayreuth, deshalb ist jeder Prominente willkommen. Und wenn die Boulevardpresse heute regelmäßig über die schrillsten Hüte und tiefsten Ausschnitte beim Premierenempfang des Bayerischen Ministerpräsidenten berichtet, dann prägt sich auch das den Leuten ein. Ein Land darf sich nicht nur mit seiner Wirtschaftskraft identifizieren, es muss auch seine immateriellen Werte schützen und schätzen, seine Kultur, seinen Geist.
«Was du ererbt von deinen Vätern hast, /Erwirb es, um es zu besitzen» – heißt es in Goethes «Faust». Das ist die Herausforderung, vor die Bayreuth uns stellt, Jahr für Jahr. Denn Wagner wollte, dass es weitergeht. Nicht umsonst endet keines seiner Musikdramen in Moll. Alle schließen in Dur, selbst der «Tristan», sogar die «Götterdämmerung». Man mag das verrückt finden, aber es ist auch ein grandioses Trotzdem, trotz allem geht es weiter. Bei Wagner bleibt immer ein Rest, ein letzter Funke, der sich neu entzünden will.
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«Wollen wir Wagner, dann wollen wir Wagner» oder:
Was ist eine gute Aufführung?
Ich würde nicht so weit gehen wie Loriot alias Vicco von Bülow: «Ein Leben ohne Bayreuth ist möglich – aber sinnlos.» Nicht ganz so weit. Denn heute wird auf der ganzen Welt Wagner gespielt, wahrscheinlich wäre es sogar leichter, die Opernhäuser zu zählen, die keinen Wagner spielen (weil sie zu klein sind oder für den doch erheblichen Aufwand die Mittel nicht haben). Wir erleben eine regelrechte Wagner-Schwemme: Weil der repräsentative Glanz der großen Oper in Zeiten der Krise offenbar tröstet. Weil Wagner im Blick auf seinen 200. Geburtstag 2013 gebührend gefeiert werden will. Und weil die Globalisierung des Musikmarktes den Bedarf anheizt. Wagner für alle? Ein paar Voraussetzungen allerdings sollte man dabei nicht aus den Augen verlieren – und nicht aus den Ohren. Dazu gehören die Architektur und die Akustik.
Architektonisches
Die größten Opernhäuser sind nicht per se auch die besten Wagner-Häuser. Die New Yorker Met mit ihren fast 4000 Plätzen klingt zwar phantastisch, wer allerdings weiter hinten sitzt, verliert schnell den Kontakt zum Geschehen. Die baulichen Voraussetzungen für einen guten Wagner-Klang scheinen mir recht offensichtlich zu sein: Das Wagner-Orchester mit seinen rund 120 Mann sollte in den Graben passen, dieser darf nicht zu hoch liegen, die Proportionen des Zuschauerraums müssen stimmen (auch im Verhältnis zur Bühne und zu den Seitenbühnen), und von der Form her ist für den Saal ein leicht gestrecktes Oval immer besser als eine Schuhschachtel. Ein gutes Wagner-Haus kann auch ein mittleres Haus sein, bei dem die Wände nicht gerade mit flauschigem Samt bespannt sind. Ein gutes Wagner-Haus ist ein Haus, in dem das Orchester trotz seiner Größe nicht muffig oder wattig klingt und die Stimmen gut tragen.
Otto Brückwald, der das Bayreuther Festspielhaus erbaute, war sicher ein hervorragender Theater-Architekt, Gottfried Semper, der mit Wagner in Dresden auf den Barrikaden stand, ist ein solcher gewesen. Von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff hingegen konnte man kaum ein für Wagner geeignetes Haus erwarten, schließlich plante er bei der Berliner Lindenoper für das 18. und nicht für das 19. Jahrhundert. Wenn die Berliner Staatsoper 2015 nach grundlegender Sanierung wiedereröffnet wird, ist dies bereits ihr fünfter Bau: Auf Knobelsdorff folgte nach einem Brand 1844 Carl Ferdinand Langhans, im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude zweimal durch Bomben getroffen und einmal, 1941/42, komplett wiederaufgebaut, nach dem Krieg hinterließ Richard Paulick im nunmehr ersten Haus der DDR seine Spuren, und jetzt, über zwei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung, ist das Stuttgarter Architekturbüro HG Merz am Werk. Interessanterweise soll die Lindenoper nie besser geklungen haben als in den zwei, drei Jahren während des Krieges, das haben
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