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Mein Leben Ohne Gestern

Mein Leben Ohne Gestern

Titel: Mein Leben Ohne Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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um sich.
    »Er irrt sich, Ali.«
    »Er irrt sich nicht.«
    »Dir fehlt nichts.«
    »Doch, ich vergesse Dinge.«
    »Jeder vergisst Dinge. Ich weiß nie, wo meine Brille ist. Will dieser Arzt bei mir jetzt auch Alzheimer feststellen?«
    »Die Probleme, die ich in letzter Zeit habe, sind nicht normal. Ich verlege nicht nur meine Brille.«
    »Na schön, dann hast du eben Dinge vergessen, aber du bist in den Wechseljahren, du stehst unter Stress, und der Tod deines Vaters hat vermutlich alle möglichen Gefühle in dir aufgewühlt, die mit dem Verlust deiner Mom und deiner Schwester zusammenhängen. Vermutlich bist du depressiv.«
    »Ich bin nicht depressiv.«
    »Woher willst du das wissen? Bist du eine klinische Ärztin?Du solltest zu deiner eigenen Hausärztin gehen, nicht zu diesem Neurologen.«
    »Ich war bei ihr.«
    »Dann sag mir genau, was sie gesagt hat.«
    »Sie hielt es für unwahrscheinlich, dass es mit einer Depression oder den Wechseljahren zusammenhängt. Sie hatte im Grunde gar keine Erklärung. Sie dachte, ich würde vielleicht nicht genügend Schlaf bekommen. Sie wollte abwarten und mich in ein paar Monaten noch einmal sehen.«
    »Siehst du, du achtest einfach nicht genug auf dich.«
    »Sie ist keine Neurologin, John. Ich bekomme reichlich Schlaf. Und das war im November. Das ist jetzt ein paar Monate her, und es wird nicht besser. Es wird schlimmer.«
    Sie bat ihn, ihr in einem einzigen Gespräch zu glauben, was sie selbst monatelang geleugnet hatte. Sie begann mit einem Beispiel, das er bereits kannte.
    »Weißt du noch, als ich damals nicht nach Chicago geflogen bin?«
    »Das könnte mir oder jedem anderen, den wir kennen, auch passieren. Unsere Terminkalender sind der reinste Wahnsinn.«
    »Unsere Terminkalender waren schon immer der reinste Wahnsinn, aber ich habe trotzdem nie vergessen, in ein Flugzeug zu steigen. Und es war ja auch nicht so, dass ich einfach meinen Flug verpasst habe. Ich hatte die Konferenz an sich vergessen, und dabei hatte ich mich den ganzen Tag darauf vorbereitet.«
    Er wartete. Es gab riesige Geheimnisse, von denen er noch nichts wusste.
    »Ich vergesse Wörter. Und in der Zeit, die ich benötigt habe, um von meinem Büro zum Hörsaal zu laufen, hatte ich das Thema der Vorlesung, die ich halten sollte, völlig vergessen. Bis zum Nachmittag kann ich den Sinn hinter Wörtern, die ich mir morgens auf meine Erledigungsliste schreibe, nicht mehr erkennen.«
    Sie konnte seine zweifelnden Gedanken lesen. Übermüdung, Stress, Angst. Alles ganz normal.
    »Den Pudding an Weihnachten habe ich nicht gemacht, weil ich ihn nicht machen konnte. Ich konnte mich nicht an einen einzigen Schritt des Rezepts erinnern. Es war einfach weg, und dabei habe ich dieses Dessert seit meiner Kindheit jedes Jahr aus dem Gedächtnis zubereitet.«
    Sie führte verblüffend schlüssige Beweise gegen sich selbst ins Feld. Eine Jury von Gleichgestellten hätte vielleicht genug gehört. Aber John liebte sie.
    »Ich stand vor Nini’s auf dem Harvard Square und hatte absolut keine Ahnung, wie ich nach Hause kommen sollte. Ich wusste einfach nicht, wo ich war.«
    »Wann war das?«
    »September.«
    Sie hatte sein Schweigen gebrochen, aber nicht seine Entschlossenheit, die Unversehrtheit ihrer geistigen Gesundheit zu verteidigen.
    »Und das ist noch lange nicht alles. Mir graut bei dem Gedanken, was ich vielleicht alles vergesse, ohne dass es mir überhaupt bewusst ist.«
    Seine Miene veränderte sich, als hätte er auf einmal irgendetwas möglicherweise Bedeutsames in den Rorschach-Klecksen auf einem seiner RNA-Filme entdeckt.
    »Dans Frau.« Er sagte es mehr zu sich selbst als zu ihr.
    »Was?«, fragte sie.
    Irgendetwas brach in ihm. Sie sah es. Die Möglichkeit sickerte allmählich zu ihm durch, verwässerte seine Überzeugung.
    »Ich muss ein paar Dinge nachlesen, und dann will ich mit deinem Neurologen reden.«
    Ohne sie anzusehen, stand er auf, ging schnurstracks in sein Arbeitszimmer und ließ sie allein auf der Couch zurück, wo sie ihre Knie umschlungen hielt und glaubte, sich vielleicht gleich übergeben zu müssen.

FEBRUAR 2004
    Freitag:
    Morgenmedikamente nehmen
    Institutsbesprechung, 9.00 Uhr, Raum 545
    E-Mails beantworten
    Lehrmotivations- und Emotionskurs geben, 13.00 Uhr, Wissenschaftszentrum, Hörsaal B (»Homöostase und Autofahren«-Vorlesung)
    Termin Genetikberaterin (John hat Info)
    Abendmedikamente nehmen
     
    Stephanie Aaron war die Genetikberaterin, die der Abteilung für

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