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Mein Leben Ohne Gestern

Mein Leben Ohne Gestern

Titel: Mein Leben Ohne Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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eines Medikaments oder sogar das falsche Medikament zu geben. Im Grunde war ich imstande, aus Versehen jemanden zu töten. Daher zog ich meinen Laborkittel aus, ging früher nach Hause und ging nie wieder zurück. Ich waram Boden zerstört. Ich dachte, ich würde verrückt werden.«
    »Und Sie, Dan? Was war das Erste, was Ihnen aufgefallen ist?«, fragte Mary.
    »Ich war immer ein rundum guter Heimwerker. Und dann, eines Tages, wusste ich auf einmal nicht mehr, wie ich die Dinge reparieren sollte, die ich immer reparieren konnte. Ich habe meine Werkstatt immer in Ordnung gehalten, alles hatte seinen festen Platz. Jetzt herrscht dort das reinste Chaos. Ich habe meine Freunde beschuldigt, sich mein Werkzeug auszuborgen und es nicht zurückzugeben, wenn ich es nicht finden konnte. Aber ich war immer selbst schuld. Ich war Feuerwehrmann. Ich fing an, die Namen der Jungs in meiner Brigade zu vergessen. Ich konnte meine eigenen Sätze nicht mehr zu Ende führen. Ich vergaß, wie man sich eine Tasse Kaffee macht. Genau dasselbe hatte ich bei meiner Mom gesehen, als ich ein Teenager war. Sie hatte auch die früh einsetzende Alzheimer-Krankheit.«
    Sie erzählten sich die Geschichten ihrer ersten Symptome, ihrer verzweifelten Versuche, eine korrekte Diagnose zu bekommen, ihrer Strategien, mit der Demenz umzugehen und zu leben. Sie nickten und lachten und weinten über die Geschichten verlorener Schlüssel, verlorener Gedanken und verlorener Lebensträume. Alice fühlte sich ernst genommen und wirklich gehört. Sie fühlte sich normal.
    »Alice, ist Ihr Mann noch berufstätig?«, fragte Mary.
    »Ja. Er hat sich in diesem Semester völlig in seine Forschung und Lehre vergraben. Er ist viel gereist. Es war nicht einfach. Aber nächstes Jahr haben wir beide ein Forschungsjahr, das heißt, ich muss nur noch bis zum Ende des nächsten Semesters durchhalten, und dann können wir beide ein ganzes Jahr lang zusammen zu Hause bleiben.«
    »Sie schaffen das, Sie haben es schon fast geschafft«, sagte Cathy.
    Nur noch ein paar Monate.

    Anna schickte Lydia in die Küche, um den Brotpudding mit weißer Schokolade zu machen. Inzwischen sichtbar schwanger und nicht mehr von Übelkeit geplagt, schien Anna ständig zu essen, als sei sie auf einer Mission, um die Kalorien wieder einzufahren, die sie in den Monaten zuvor durch die Morgenübelkeit verloren hatte.
    »Ich habe Neuigkeiten für euch«, sagte John. »Man hat mir die Leitung des Krebsbiologie- und Genetikprogramms am Sloan-Kettering angeboten.«
    »Wo ist das denn?«, fragte Anna, den Mund voller Cranberrys mit Schokoladenüberzug.
    »New York City.«
    Niemand sagte etwas. Dean Martin schmetterte Marshmallow World aus den Lautsprechern der Stereoanlage.
    »Du spielst doch wohl nicht ernsthaft mit dem Gedanken anzunehmen, oder?«, fragte Anna.
    »Doch. Ich bin im Herbst ein paarmal dort gewesen, und es ist der ideale Posten für mich.«
    »Aber was ist mit Mom?«, fragte Anna.
    »Sie arbeitet nicht mehr, und sie geht kaum noch auf den Campus.«
    »Aber sie muss hier sein«, sagte Anna.
    »Nein, das muss sie nicht. Sie wird bei mir sein.«
    »Oh, ich bitte dich! Ich komme abends hierher, damit du bis spät in die Nacht arbeiten kannst, und ich übernachte hier, wenn du nicht in der Stadt bist, und Tom kommt an den Wochenenden, wenn er kann«, sagte Anna. »Wir sind nicht die ganze Zeit hier, aber …«
    »Du sagst es, ihr seid nicht die ganze Zeit hier. Ihr seht nicht, wie schlimm es allmählich wird. Sie gibt vor, weitaus mehr zu wissen, als sie tatsächlich weiß. Glaubt ihr etwa, dass sie es in einem Jahr noch zu schätzen weiß, dass wir inCambridge sind? Sie weiß ja jetzt schon nicht mehr, wo sie ist, wenn wir drei Blocks von hier entfernt sind. Wir könnten genauso gut in New York City sein, und ich könnte ihr sagen, dass es der Harvard Square ist, und sie würde keinen Unterschied merken.«
    »Doch, das würde sie«, sagte Tom. »Sag so etwas nicht.«
    »Na ja, vor September würden wir ja sowieso nicht umziehen. Das ist noch lange hin.«
    »Es ist egal, wann es ist, sie muss hierbleiben. Wenn du von hier wegziehst, wird es mit ihr rasch bergab gehen«, sagte Anna.
    »Da gebe ich dir recht«, sagte Tom.
    Sie redeten von ihr, als würde sie nicht ein paar Meter weiter in dem Ohrensessel sitzen. Sie redeten von ihr, vor ihr, als wäre sie taub. Sie redeten von ihr, vor ihr, ohne sie mit einzubeziehen, als hätte sie Alzheimer.
    »Diese Position steht mir vermutlich nur einmal im

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