Mein Leben Ohne Gestern
etwas gesagt.«
»Ich habe dir gesagt, weshalb ich dorthin gefahren bin.«
»Na schön. Wären sie denn damit einverstanden, dass du jetzt dein Forschungsjahr nimmst und im September nächsten Jahres dort anfängst?«
»Nein, sie brauchen jetzt jemanden. Es war sowieso schon schwer genug, so viel Zeit herauszuschlagen, aber ich brauche diese Zeit, um hier im Labor noch ein paar Dinge abzuwickeln.«
»Könnten sie nicht befristet jemanden einstellen, dann könntest du erst noch dein Forschungsjahr mit mir nehmen und danach dort anfangen?«
»Nein.«
»Hast du sie überhaupt gefragt?«
»Hör zu, auf dem Gebiet herrscht zurzeit ein harter Konkurrenzkampf, und alles entwickelt sich rasend schnell. Wir stehen vor ein paar bahnbrechenden Erkenntnissen, ich meine, wir sind dabei, die Tür zu einem Heilmittel gegen den Krebs aufzustoßen. Die Arzneimittelhersteller sind interessiert. Und dieser ganze Vorlesungs- und Verwaltungskram in Harvard wirft mich einfach unglaublich zurück. Wenn ich das jetzt nicht annehme, dann könnte ich meine einzige Chance verspielen, etwas wirklich Bedeutendes zu entdecken.«
»Das ist nicht deine einzige Chance. Du bist brillant, und du leidest nicht an Alzheimer. Du wirst noch jede Menge Chancen haben.«
Er sah sie an und sagte nichts.
»Dieses kommende Jahr ist meine einzige Chance, John, nicht deine. Dieses kommende Jahr ist meine letzte Chance, mein Leben zu leben und zu wissen, was es mir bedeutet. Ich glaube nicht, dass mir noch viel mehr Zeit bleibt, wirklich ich selbst zu sein. Ich will diese Zeit mit dir verbringen, und ich kann nicht glauben, dass du sie nicht mit mir verbringen willst.«
»Das will ich doch. Das würden wir tun.«
»Das ist doch Blödsinn, und das weißt du genau. Unser Leben ist hier. Tom und Anna und die Babys, Mary, Cathy und Dan und vielleicht Lydia. Wenn du diese Stelle annimmst, dann wirst du rund um die Uhr arbeiten, das weißt du genau, und ich wäre ganz allein dort. Diese Entscheidung hat nichts damit zu tun, dass du mit mir zusammen sein willst, und sie nimmt mir alles, was mir noch geblieben ist. Ich komme nicht mit.«
»Ich werde nicht rund um die Uhr arbeiten, ich verspreche es. Und was, wenn Lydia in New York lebt? Was, wenn du eine Woche im Monat bei Anna und Charlie verbringen würdest? Wir können Lösungen finden, damit du nicht allein bist.«
»Und was, wenn Lydia nicht in New York ist? Was, wenn sie in Brandeis ist?«
»Deswegen denke ich ja, wir sollten noch abwarten und die Entscheidung später treffen, wenn wir mehr Informationen haben.«
»Ich will, dass du dieses Forschungsjahr nimmst.«
»Alice, ich stehe nicht vor der Wahl, ob ich die Position am Sloan oder ein Forschungsjahr nehmen will. Ich stehe vor der Wahl, ob ich die Position am Sloan annehme oder hier in Harvard weitermache. Ich kann mir das nächste Jahr ohnehin nicht einfach freinehmen.«
Er verschwamm vor ihren Augen, in denen Tränen der Wut brannten, und sie begann, am ganzen Körper zu zittern.
»Ich kann nicht mehr! Bitte! Ich halte das ohne dich nicht mehr aus! Du kannst dir das Jahr freinehmen. Wenn du wolltest, könntest du. Du musst es für mich tun.«
»Und was, wenn ich dieses Angebot ablehne und mir das nächste Jahr freinehme und du nicht einmal mehr weißt, wer ich bin?«
»Und was, wenn ich es doch weiß, aber im übernächsten Jahr nicht mehr? Wie kannst du es auch nur in Erwägungziehen, die Zeit, die uns noch bleibt, eingeigelt in deinem Scheißlabor zu verbringen? Ich würde dir das niemals antun.«
»Darum würde ich dich auch niemals bitten.«
»Das müsstest du nicht.«
»Ich glaube nicht, dass ich das kann, Alice. Es tut mir leid, aber ich glaube einfach nicht, dass ich es ertragen kann, ein ganzes Jahr zu Hause zu bleiben und nur dazusitzen und mit anzusehen, wie diese Krankheit an dir zehrt. Ich kann es nicht ertragen, mit anzusehen, wie du nicht mehr weißt, wie du dich anziehen oder den Fernseher einschalten sollst. Wenn ich im Labor bin, dann muss ich nicht mit ansehen, wie du an alle Schränke und Türen Post-it-Notizen klebst. Ich kann einfach nicht zu Hause bleiben und mit ansehen, wie sich dein Zustand verschlimmert. Das bringt mich um.«
»Nein, John, mich bringt es um, nicht dich. Mein Zustand verschlechtert sich, egal, ob du zu Hause bist und mich ansiehst oder ob du dich in deinem Labor verkriechst. Du verlierst mich. Ich verliere mich. Aber wenn du dir das nächste Jahr nicht mit mir freinimmst, na ja, dann haben wir
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