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Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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offensichtlich Nutzen brachte, ging ich davon aus, dass allenfalls Detailfragen strittig sein konnten. Der Gedanke, dass die Interessen des Landes für sie lediglich eine austauschbare Spielkarte sein könnten, kam mir nicht in den Sinn. Darauf hatte meine bisherige Erfahrung mich nicht vorbereitet. Ich wusste, dass man am Wachstum verdienen konnte, und ich wusste, dass diejenigen, die im Interesse des Landes handelten, auch sich selbst nicht vergaßen. Aber im eigenen Interesse zu handeln – gegen die Interessen des Landes? Das war Verrat! Im ganz direkten, offenen Sinn. Natürlich war niemand gegen Missverständnisse oder Fehleinschätzungen gefeit, aber absichtlich – nein, darauf hatte ich leider nicht gewettet.
    Was nun aber die »Expansion der Gruppe« in den humanitären Bereich, in die Politik angeht, so sind das in Wahrheit nicht etwa Elemente eines verhängnisvollen Plans, sondern der für das mittlere Lebensalter ganz normale Wunsch, sich auf neuen Gebieten zu bewähren. Uns allen war klar, dass unsere Zeit im Big Business ihrem Ende entgegenging. Es war nicht mehr interessant, hier brauchte man Profis, die jünger und besser ausgebildet waren. Vielleicht noch fünf bis sieben Jahre lagen vor uns, mehr nicht. Deshalb hatte jeder von uns begonnen, sich eine Zukunft für die Zeit danach aufzubauen. In der Politik, in der Bildung oder, wie ich, im gesellschaftlichen Bereich. Natürlich war mein Interesse daran auch ideologisch motiviert – unter anderem das Interesse an einer Erweiterung der realen Vollmachten des Parlaments, weil ich gesehen hatte, wie das in den USA funktionierte, und weil ich damals wie heute fand, dass dieses Modell sich auch für Russland eignete. Meine eigene politische Zukunft schätzte ich mehr als nüchtern ein – ich sah darin eine mögliche Form der gesellschaftlichen Aktivität, der ich aber weniger intensiv nachgehen würde als meiner unternehmerischen Arbeit.
    Menschen, die nie wirklich viel Geld zur Verfügung hatten, können sich oft schwer vorstellen, dass man auch zu viel Geld haben kann, denn viel Geld bedeutet eine große Verantwortung, und diese Verantwortung ermüdet. Die Annehmlichkeiten, die man sich für viel Geld kaufen kann, braucht längst nicht jeder. Es will nun einmal nicht jeder eine Jacht, einen Fußballclub, Paläste auf der ganzen Welt und goldene Kloschüsseln haben! Wozu also sollte man sich dann an einen Bereich klammern, in dem man sein Limit schon erreicht hat? Um des Geldes willen? Das Geld braucht man nicht. Man möchte lieber etwas tun, was einen interessiert.
    Übrigens bedeutet auch der Posten des Präsidenten und selbst der des Premiers für einen mehr oder weniger anständigen Menschen eine große Verantwortung und eine schwere Bürde. Auf eine solche Bürde kann sich nur einlassen, wer eine innere Berufung dazu verspürt, was bei mir zum Beispiel nicht der Fall ist. Ich will keinen Augiasstall ausmisten müssen und dabei noch die allgemeine Abneigung zu spüren bekommen. Ich ziehe eine dankbare Arbeit vor, für Menschen, die verstehen und zu schätzen wissen, was ich tue. Das mag egoistisch klingen, aber dafür ist es ehrlich.
    Eben deshalb sah ich meine Rolle gerade im gesellschaftlichen Bereich, in der Bildung, in der Arbeit mit Gleichgesinnten und im Interesse einer vergleichsweise kleinen Schicht von Menschen: der Intelligenz, der »kreativen Klasse«, derjenigen, die Anstrengungen unternehmen können und wollen, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Nach meiner Überzeugung ist es genau diese Schicht, die das Leben des ganzen Landes verändern kann. Eine Führungsrolle können zehn bis fünfzehn, vielleicht auch zwanzig Prozent einer Bevölkerung übernehmen. Nicht mehr. Die breite Masse ist immer konservativ.
    Jeder Fortschritt ist das Ergebnis bewusster Anstrengungen einer verantwortungsvollen Elite, ihres ordnenden und erzieherisch wirkenden Einflusses auf die Gesellschaft. Zunächst aber muss sich die Elite über sich selbst im Klaren sein, muss sie sich ihrer Ziele und ihrer Verantwortung für das Land und das eigene Volk bewusst sein.
    Im Grunde genommen war eben dieser erste Schritt für mich von besonderem Interesse. Ich bin schließlich keineswegs ein Heiliger und auch kein Engel. Egoismus ist mir nicht fremd; ich wollte etwas tun, was mir gefällt, und zwar mit Leuten, mit denen es mir Spaß machte. Für einen Politiker ist das ein unzulässiger Luxus, aber für jemanden, der im gesellschaftlichen Bereich arbeitet, ist es

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