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Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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dass man es uns wegnehmen könnte. Eine Gefahr sahen wir nur für uns persönlich als Gesellschafter und Manager des »politischen« Blocks im Unternehmen.
    Zu glauben, man hätte das Unternehmen vom Ausland aus führen können, wäre naiv gewesen. Wir bereiteten uns nicht darauf vor, weil es gar keinen Sinn hatte.
    Die Steuerforderungen schlugen ein wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Wir hatten schließlich jeden unserer Schritte mit der Regierung oder in der Staatsduma abgesprochen. In Bezug auf anstehende Gesetzesänderungen, auf die Höhe der Zahlungen des Unternehmens oder auf die Transferleistungen an die Regionen, in denen wir steuerpflichtig waren, hatte ich jeweils persönlich mit Alexej Kudrin, Alexander Potschinok, Gennadi Bukajew und Alexander Shukow 189 die verschiedenen Modelle diskutiert.
    Das Unternehmen kam für bis zu fünf Prozent des föderalen Haushalts auf. Im Jahr 2002 besprach Michail Fradkow, der Direktor der Steuerpolizei, mit mir persönlich die Ergebnisse der Prüfungen. Putin erwähnte das auch während der berühmten Zusammenkunft am 19. Februar und bestätigte, dass wir alle Steuerfragen geklärt und alles, was nachberechnet worden war, gezahlt hatten. Und da wollen sie etwas »nicht gewusst« haben?
    Wir hatten jedenfalls keine Probleme in dieser Richtung gesehen. Zur Privatisierung gab es durchaus offene Fragen. Da waren die gesetzlichen Bestimmungen »schief«, man konnte sie so oder so auslegen. In unseren öffentlichen Berichten haben wir speziell auf dieses Problem des »historischen Portfolios« hingewiesen. Deshalb sind letztlich ja auch gerade die Gesellschafter ausgereist, die für die Politik zuständig waren. Doch wie sich herausstellte …
    Zur Frage einer »Nachzahlung« im Zusammenhang mit der Privatisierung fanden im Russischen Industriellen- und Unternehmerverband Gespräche zwischen uns statt, und wir waren alle einer Meinung. 190 Der Gedanke, den der damalige Premierminister Kassjanow geäußert hat, wonach Putin die Großunternehmen nicht »vom Haken« einer in den Augen der Gesellschaft bestehenden gewissen Illegitimität lassen wollte, scheint mir durchaus plausibel.
    Die Gerichte
    Ob mir klar war, dass das Gericht sich dermaßen gleichgültig gegenüber dem Gesetz verhalten würde? Nein! Ich hatte keinen Zweifel, dass man mich im Rahmen des »Ermittlungsverfahrens« ziemlich lange im Gefängnis festhalten konnte. Aber eine Verurteilung? Ohne jeden Beweis für irgendeinen Verstoß gegen das Strafrecht? Nie und nimmer!
    Warum ich mir sicher war, nicht gegen das Strafrecht verstoßen zu haben? Ich hatte mir schon vor Jahren angewöhnt, alle Dokumente, bevor ich sie unterzeichnete, einer ganzen Heerschar von Spezialisten (Juristen, Buchhaltern) vorzulegen, danach wurde alles von Auditoren geprüft. Natürlich gab es strittige zivilrechtliche wie auch steuerrechtliche Fragen. Wir prozessierten ja häufig. Manches Verfahren wurde gewonnen, manches verloren, aber zwischen einem Rechtsstreit vor einem Zivilgericht und einem Verstoß gegen das Strafrecht liegen rechtlich gesehen ja Welten.
    Es gibt die Legende, wir hätten seinerzeit mit den Gerichten gemacht, was wir wollten. Das stimmt absolut nicht. Nicht von ungefähr wurde in den acht Jahren seit meiner Verhaftung kein einziger Gerichtsentscheid aus der Zeit, in der ich den Yukos-Konzern führte, aufgehoben. Es gab also keine Verstöße, deren Ungerechtigkeit für Empörung gesorgt hätte. Mehr noch, ich wage zu behaupten, dass auch Jelzin eher sorgsam mit den Gerichten umgegangen ist. Mir ist keine einzige Situation in Erinnerung, in denen er selbst oder jemand auf seine Anweisung die Gerichte zu offensichtlich gesetzeswidrigen Handlungen gedrängt hätte (zumindest nicht im Bereich der Wirtschaft).
    Meine Naivität im Hinblick auf die Justiz ist somit zwar vielleicht unverzeihlich, aber immerhin erklärlich.
    Der grundsätzliche Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Verfahren gegen mich lag für mich darin, dass ich im ersten Prozess noch an die Justiz glaubte. Obgleich mir klar war, welche Möglichkeiten es gab, »administrativen Druck« auszuüben, hatte ich nicht erwartet, dass die Entscheidung, die die Machthaber brauchten, derart massiv und ohne jede Rücksicht auf das Gesetz durchgepeitscht werden würde. Ich hatte immer noch die Illusion, dass es Regeln gebe, und glaubte, die Anwälte wüssten besser über die konkreten Spielregeln bei Gericht Bescheid. Dass die einstmals geltenden Regeln längst

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