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Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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der Vergangenheit angehörten, wurde mir erst später bewusst, als die »erste Etappe« vorüber war.
    Als der zweite Prozess begann, war ich mir über die Willkür der Justiz bereits voll im Klaren. Ich verstand aber inzwischen auch, wie meine Kontrahenten bestimmte Schritte meinerseits auslegen würden. Insbesondere der grundsätzliche Verzicht auf eine Verteidigung wäre von ihnen so interpretiert worden, als gäbe es »in der Sache« nichts zu beanstanden.
    Eben deshalb klammerte ich das »politische Element« aus dem Gerichtssaal aus (mit Ausnahme des Schlussplädoyers) und spielte strikt auf juristischem Terrain. Wobei ich hier, im Gegensatz zum ersten Prozess, wo das Thema auf Anraten der Anwälte in verfahrensrechtliche und materielle (auf den Sachverhalt bezogene) Fragen aufgeteilt worden war, gänzlich von den verfahrensrechtlichen Aspekten abrückte und ein ums andere Mal in dieselbe Kerbe schlug: Hirngespinste, Unsinn, Fälschung und: Sie können ja selbst nicht einmal erklären, was Sie da geschrieben haben. Ich hatte zwar mehrere Szenarien vorbereitet, beschloss dann aber angesichts der Atmosphäre im Gerichtssaal und in der Gesellschaft, bei diesem Vorgehen zu bleiben.
    Ich sage ganz offen: Hätte ich die Situation im ersten Prozess schon so gründlich erfasst, das Ergebnis in der öffentlichen Meinung wäre anders ausgefallen. Zu viele angesehene Personen ließen sich beim ersten Prozess noch davon überzeugen, dass da »etwas dran war« – obwohl es um dieselben Hirngespinste ging wie beim zweiten Prozess. Nur fehlte mir damals leider die Erfahrung.
    Was die psychische Standhaftigkeit angeht – ich bin sehr standhaft. Außerdem, und das habe ich an anderer Stelle bereits gesagt: Von meiner Psychologie her bin ich ein Russe. Wenn der Feind im Haus steht, ist es um die Wände nicht schade. Um die Menschen schon.
    Als schwach habe ich mich nie empfunden. Wenn ich schwach wäre, dann hätten sich die Machthabenden längst beruhigt. Sie haben aber ganz offensichtlich Angst. Oder schämen sie sich womöglich?
    Den Vorwurf, es sei ineffizient, ins Gefängnis zu gehen, kann ich teilweise akzeptieren, wenn ich eingestehe: Ich hatte weder mit der Zerschlagung des Unternehmens gerechnet noch mit einem Verhalten der Staatsbeamten, das das Land so offenkundig schädigte, noch damit, dass man einfache Sachbearbeiter mit Gewalt physisch bedrängen würde. Hätte ich gewusst, dass meine Gegner das übliche Spielfeld verlassen würden, hätte ich wahrscheinlich eine andere Taktik angewandt. Aber zum Gerichtsverfahren gegen mich wäre ich so oder so erschienen. Das ist für mich eine Frage der Ehre, das ist meine Auffassung von Patriotismus. Psychologisch wäre es natürlich schwieriger gewesen, sich dazu durchzuringen, aber ich weiß, ich hätte es getan.
    Die Haltung des Westens
    Ich finde es zum Lachen, wenn man versucht, mich als naiven Tropf hinzustellen, der geglaubt hätte, der Westen würde irgendwelche ernsthaften Anstrengungen unternehmen, um mich freizubekommen. Ich hatte schließlich jahrelang mit westlichen Konzernen zusammengearbeitet und wusste in etwa, wie pragmatisch die Chefs dieser Unternehmen sind. Normalerweise hätte die Aufmerksamkeit des Westens eigentlich nach einem halben Jahr verebbt sein müssen. Mich hat eher überrascht, wie groß das Interesse an meinem Problem war und wie lange es anhielt. Acht Jahre – und es ist keineswegs zu Ende. Mal wird es etwas ruhiger, dann landet es wieder auf den Titelseiten.
    Das liegt natürlich an den Fehlern der Machthabenden. Mit der Zerstörung von Yukos haben sie die Interessen sehr vieler Leute geschädigt.
    Ein nicht minder schwerwiegender Fehler war der zweite Prozess, der für alle, die bis dahin noch an die russische Justiz geglaubt hatten, endgültig klare Verhältnisse schuf. Abgesehen von der allgemeinen Restauration des Autoritarismus, die inzwischen unübersehbar geworden war.
    Und doch wäre nichts geschehen, wenn die demokratischen Werte, die Menschenrechte für die westliche Gesellschaft nur leeres Gerede gewesen wären. Nein, sie sind kein leeres Gerede. Selbst die pragmatischsten Politiker und Unternehmer waren gezwungen, dem Rechnung zu tragen. Und wir sehen heute, wie Menschen, die ganz sicher selbst genug um die Ohren haben, sich die Probleme von anderen Menschen aus einem fremden Land zu Herzen nehmen, die sie gar nicht oder nicht sonderlich gut kennen.
    Sehr oft denke ich an die zurück, die auch nach langer Zeit treue Freunde

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