Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
fiel es schwer, sich ihren Ideen wirklich anzuschließen. Eher kam der Wunsch auf, die gewohnte Welt und die Ideologeme, die sich tief ins Bewusstsein gegraben hatten, zu verteidigen.
Zu Beginn der Perestroika, also etwa 1985/1986, war ich dabei, mein Studium abzuschließen. Ich schloss mit »rotem Diplom«, das heißt mit Auszeichnung, ab und bekam ein Stipendium; parallel hatte ich ein bis zwei Jobs: als Hausmeister und manchmal auch als Tischler bei uns im Stadtteil Swiblowo. Ich baute Einbauschränke, reparierte Türen und Fensterrahmen. Im Sommer kamen noch die studentischen Baubrigaden dazu. Von 1986 bis 1987 war ich Stellvertretender Sekretär des Komsomolausschusses am Chemisch-Technischen Institut, wo ich mich um die organisatorische Arbeit kümmerte, und nachts verdiente ich mir in der Brotfabrik an der Krasnoselskaja-Straße etwas dazu. Es war hart. Besonders, als ich ein Zweitstudium am Juristischen Allunionsinstitut für Fernstudien aufnahm.
Größere Geldprobleme gab es nicht, obwohl ich schon eine eigene Familie hatte – ich war verheiratet und Vater eines Sohnes. Meine Eltern halfen uns, obwohl ich das ablehnte, wann immer es ging. Sie waren aber trotzdem erpicht darauf, ihrem Sohn Geld zuzuschießen. Wir hatten genug. 400, 500 Rubel im Monat für uns drei. Nicht übel. 26
Beruf: Komsomolze
Nach dem Studium hätte ich gern in einem Betrieb oder einer wissenschaftlichen Produktionsgenossenschaft gearbeitet. Doch es kam anders. Ich wurde Stellvertretender Sekretär des Komsomolausschusses der Hochschule. 27
Wegen ideologischer Fragen wurde bei uns »kein Stress gemacht« – das erklärt wohl, dass so unabhängige Leute wie Mischa Marfin, Mischa Kusnirowitsch und auch ein dritter Mischa, Mischa Bolotin, alle bei uns im Komsomolausschuss saßen. 28 Wir haben alle zur selben Zeit dort gearbeitet. Ob es politische Witze gab? Klar. Und was ich am Institut für eine Wandzeitung gemacht habe! Ich würde sagen, sie war extrem bissig. Und ich habe gegen alle gestichelt. Den Dekan eingeschlossen. Aber wir waren ein »Freidenker«-Institut, bei uns wurde so schnell keiner in die Mangel genommen. Als kurz vor Silvester in der Eingangshalle des Hauptgebäudes eine Papiertanne auftauchte, die bis an die Decke reichte (und das sind sechs bis acht Meter), auf der in höflicher, aber studentisch freier Form »Glückwünsche« verewigt waren (wir schrieben das Jahr 1981!), konnte der Rektor natürlich nicht so tun, als hätte er nichts bemerkt. Dennoch wurden wir erst am nächsten Tag aufgefordert, sie zu entfernen. Und niemand wurde deshalb ins Parteibüro oder ins Dekanat zitiert. Gennadi Jagodin, der damals Rektor war, ist ein großartiger Mensch.
Über die Dissidenten, über Sacharow wussten wir damals nichts. Vielleicht hatten wir davon gehört, aber in meinem Kopf war davon einfach nichts hängengeblieben. Obwohl ich Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch gelesen hatte. Es hatte mir auch gefallen. Stalin mochte ich sowieso nicht besonders. All die Verhaftungen und Erschießungen Unschuldiger, sein ungeheuerlicher Fehler zu Beginn des Krieges … Das wusste ich alles, brachte es aber nicht in Zusammenhang mit der »heutigen« KPdSU . Da war einfach eine Barriere. Wann ich Bulgakows Hundeherz gelesen habe, weiß ich nicht mehr. Allgemein war ich schon immer ein Liebhaber der fantastischen Literatur. Michail Bulgakow wie auch Alexej Tolstoj sind für mich »antiquarische« Schriftsteller. Ich habe sie gelesen, war aber nicht beeindruckt. Die Brüder Strugazki fand ich viel interessanter – richtig verstande habe ich sie allerdings erst mit Ende dreißig. Die dritte Zivilisation , Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein , Picknick am Wegesrand – in jedem Buch gibt es mindestens drei Ebenen der Wahrnehmung. Wenn du endlich bei der dritten angekommen bist, fängst du an, nicht nur die sowjetische Macht zu verachten, sondern grundsätzlich jede totalitäte oder sogar autoritäre Macht. Ich bin mir nicht sicher, dass es den Strugazki-Brüdern genau darum ging, aber das haben sie erreicht. Konstantin Simonow im Übrigen auch. Als Mensch war er mit Vorsicht zu genießen, heißt es, aber nach seinem Buch Die Lebenden und die Toten braucht man keinen Iwan Denissowitsch mehr. Was Stalin anging, war mir alles klar. Nicht von Anfang an und auch nicht im »zarten Jugendalter«, sondern erst viel später, aber dann war es wirklich klar …
Ich hörte gern westliche Musik: Boney M., ABBA, das Orchester von Paul Mauriat,
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