Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
Patricia Kaas. Das waren zwar »die anderen« – man denke nur an »Dschingis Khan«! –, aber ich empfand sie nicht als fremd. Eine deutsche Band. Auch hier gab es eine Barriere. Ich habe erst vor weniger als zwanzig Jahren aufgehört, die Deutschen als Feinde zu sehen. Ich hatte Glück. Ich lernte einen bemerkenswerten und sehr verständnisvollen Menschen kennen, einen Deutschen, dem es gelang, diesen Belag des alten, man kann sogar sagen: genetisch bedingten Hasses abzukratzen. Ob Sie es glauben oder nicht: Ich habe die Deutschen (die Westdeutschen wie die Ostdeutschen) einfach nur gehasst, leidenschaftlich gehasst. Heute blicke ich zurück und wundere mich, wie der Mensch sich ändern kann. Meine Kinder lernen Deutsch und betrachten Deutschland und die Deutschen als ihre Freunde. Sie können sich nicht einmal vorstellen, dass das auch anders sein kann.
Der Mensch ist schon ein seltsames Wesen! Mir genügte die Freiheit, die es gab. Schon in der Schulzeit veranstaltete ich mit einem Freund zusammen Diskotheken. Niemand hinderte uns daran. Der Direktor half uns sogar mit der Technik aus. Ich weiß nicht. Anderen ist es vielleicht anders ergangen, aber ich hatte Glück. Ich konnte so leben, wie es mir gefiel.
Führungsqualitäten – das hat man tief in sich. Um ganz offen zu sein: Ich mag Menschen, ich interessiere mich für sie, allerdings in einem relativ engen Sinn – ich mag es, wenn ich für sie einen Platz im Leben finden kann, eine Aufgabe, die ihnen entspricht, wenn ich zu ihrer Entwicklung beitragen und sie weiterbringen kann, bis an ihre persönlichen Grenzen. Ich zwinge ihnen keine Rolle auf, sondern greife auf das zurück, was jemand gut kann, oder das, wonach er strebt. Und zwar nicht etwa, weil ich nicht in der Lage wäre, jemanden zu etwas zu zwingen – das bin ich sehr wohl. Ich tue es nur nicht gern. Was ich dagegen nicht nur gut kann, sondern auch gern tue, ist, Leute von etwas überzeugen. Nicht alle, nur solche, die ähnliche Wertvorstellungen haben wie ich. Oder sie zumindest haben könnten. Daher auch das Problem mit Putin.
Meine Stärke ist die Logik, nicht das Gefühl. Ich fühle mich verantwortlich für die, die sich mir anvertraut haben, allerdings nur materiell, nicht emotional. Meine Frau kritisiert mich dafür, und ich versuche aufrichtig, mich zu bessern, wenigstens im Kreis der Familie. Mit wechselndem Erfolg gelingt mir das auch. In letzter Zeit lobt Inna mich. Aber vielleicht tue ich ihr auch einfach nur leid.
Russe durch und durch
Ich hatte nie Probleme wegen meiner jüdischen Nationalität, zumindest nicht auf der zwischenmenschlichen Ebene. Schwierigkeiten mit dem System gab es natürlich, aber darauf achtete ich nicht besonders, und dass sie mir erst im Rückblick bewusst werden, zeigt, dass sie mich psychisch wohl nicht sehr verletzt haben. Viele machen mir Vorwürfe, wenn ich sage, dass ich mich als Russe fühle. Für manche Leute ist die Lossagung vom Judentum offenbar gleichbedeutend mit Verrat. Aber ich habe mich nie als Jude gefühlt. Wenn es neben der sowjetischen für mich überhaupt eine nationale Identität gab, dann nur die russische. Auch meinen Vater habe ich niemals als jemanden wahrgenommen, der einer anderen Nation angehört als die übrigen Menschen in unserem Umfeld. Ich glaube, er hat sich auch selbst nicht so gesehen. Als Moskauer Straßenkind der Nachkriegszeit hatte er außerdem sicher andere Sorgen als sein Judentum.
Kleinere Probleme gab es, aber ich brachte sie nicht mit meiner Nationalität in Zusammenhang. An der Sonderfakultät 29 wurde ich aufgenommen, und auch zu allen »vertraulichen« Unterlagen bekam ich ohne Weiteres Zugang. Ich arbeitete sowohl in Betrieben als auch auf dem Bau mit echten Arbeitern. Da war nie irgendetwas, nicht einmal eine Andeutung. In späteren Jahren dagegen gab es zweifellos öfter Anlass, nachdenklich zu werden. Einmal fuhr ich sogar nach Israel und sprach dort mit einem sehr angesehenen Rabbiner und mit anderen Menschen, die sich als echte Juden fühlten. Sie fragten mich, ob ich mich in Israel zu Hause fühle.
Für mich ist das eine ganz einfache Frage: Ich mag die Hitze nicht, ich mag das warme Meer nicht und ich mag die Wüste nicht. Meine Lieblingsstadt (neben Moskau) ist Tomsk, und mein liebster Urlaubsort ist Jokanga, im Gebiet Murmansk, jenseits des Polarkreises, nur zehn Kilometer vom Eismeer entfernt – Wälder, Tundra, Felsen. Ich mag eiskalten Wodka, dünne Scheiben von geeistem Fisch, Pelmeni mit
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